Atomenergie

Phantom­debatte

Es ist eine Mär, dass Atomstrom billig ist. Es ist teuer Atomkraftwerke zu bauen, billig sie zu betreiben und teuer sie abzureißen.

Phantom­debatte

Es grenzt fast schon an einen Treppenwitz der Geschichte: Zehn Jahre nach dem GAU im japanischen Fukushima und ein Jahr, bevor der letzte Atommeiler in Deutschland vom Netz gehen wird, gewinnt Atomenergie in Europa neue Strahlkraft. Frankreich und andere EU-Mitgliedstaaten läuten gerade die Renaissance der Kernenergie ein. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron spricht dabei schon längst nicht mehr von einer Brückentechnologie, sondern preist die Kernenergie als „Technologie der Zukunft“. Im Kern geht es darum, Atomenergie im Rahmen der EU-Taxonomie in den Katalog der nachhaltigen Investitionen aufzunehmen. Das ist entscheidend, um auch morgen noch Förder- und Investorengelder zu erhalten.

Hierzulande hüllt sich die Politik dagegen in Schweigen, derweil die einstige Atomlobby – allen voran die Betreiber der Kernkraftwerke – die Debatte für tot erklärt, bevor sie überhaupt begonnen hat. Letzteres hat natürlich auch mit dem unrühmlichen Treiben der Atomindustrie im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus dem 2002 beschlossenen Atomausstieg zu tun, der 2010 durchgedrückt wurde. Im Angesicht der Nuklearkatastrophe in Japan wurde das Aus dann endgültig besiegelt. Fakt ist aber auch, dass Kernkraft in Deutschland – ganz anders als bei unseren westlichen Nachbarn – nicht (mehr) gesellschaftsfähig ist.

Das Pro und Contra wird seit den 1980er Jahren diskutiert, an den Fakten hat sich bis heute wenig geändert: Atomstrom ist eine weitgehend CO2-freie Energiequelle, was sie gegenüber fossilen Energieträgern wie Kohle oder Gas zweifelsohne überlegen macht. Im Gegensatz zu Erneuerbaren ist auf Atomstrom zudem Verlass, egal ob die Sonne scheint oder der Wind weht. Außerdem ließen sich mit Atomstrom Unmengen an Wasserstoff produzieren, ohne den es die unumgängliche Elektrifizierung der Industrie nicht geben wird.

Umgekehrt gibt es das nicht wegzudiskutierende Sicherheitsrisiko, das sich auch darin spiegelt, dass es bis heute keine Versicherung zur Abdeckung der Risiken gibt. Noch gravierender ist das Entsorgungsproblem. Nur in Finnland befindet sich derzeit ein Endlager im Bau, obwohl Kernenergie weltweit in 30 Länder für zivile Zwecke genutzt wird. Das hat Gründe, denn der radioaktive Abfall wird noch mehrere hunderttausend Jahre strahlen. Niemand kann einen solch langen Zeitraum überblicken. Aussagen zur Sicherheit eines Endlagers sind folglich mit einem Fragezeichen zu versehen.

Ein Trugschluss ist allerdings, dass Atomstrom günstig ist. Richtig ist zwar, dass Atomkraftwerke im Betrieb unschlagbar preiswert sind, doch Bau und Abriss sind das genaue Gegenteil. Ob in den USA, Finnland, Großbritannien oder Frankreich, bei praktisch allen Kraftwerksbauten in jüngerer Zeit kam es zu Verzögerungen und Kostenexplosionen, die schwer an den Bau des BER erinnern.

So wird das seit 2007 im Bau befindliche Atomkraftwerk im französischen Flamanville frühestens 2023 ans Netz gehen, elf Jahre später als ursprünglich geplant. Die Baukosten – zunächst mit 3,3 Mrd. Euro veranschlagt – sind inzwischen auf über 12 Mrd. Euro explodiert. Ähnliches gilt für den Bau von Hinkley Point C in Großbritannien, wo sich Bau und Inbetriebnahme weiter verzögern, derweil die Kosten von einst 21,5 Mrd. Euro inzwischen auf 27 Mrd. Euro gestiegen sind. Die lange Bauzeit in Verbindung mit beständig steigenden Sicherheitsanforderungen und hohem Preiswettbewerb durch Erneuerbare machen die Projekte für Privatinvestoren unkalkulierbar. Hitachi begrub im vorigen Jahr den Plan zum Bau von zwei Reaktoren in Wales. Der Grund: Es ließen sich keine Investoren finden.

Wer also der Renaissance der Atomkraft das Wort redet, muss auch bekennen, dass sich der Staat und damit der Steuerzahler an der Finanzierung beteiligen muss. Warum aber sollte dieser das tun, wenn es mit Erneuerbaren weitaus günstigere und bedeutend risikoärmere Energiequellen gibt? Sicher, noch sind Erneuerbare nicht in dem Umfang verfügbar, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, ge­schweige denn, dass die Stromnetze für die neue Energiewelt schon bereitstünden. Von daher braucht es Brückentechnologien. Neben Atomkraft bietet sich dafür Erdgas an. Denn auch wenn der Energieträger eine bedeutend schlechtere CO2-Bilanz aufweist, lassen sich Gaskraftwerke zumindest auf Wasserstoff – den klimaneutralen Rohstoff der Zukunft – umrüsten. Zudem eignen sich Gaskraftwerke als Kaltreserve. Atomkraftwerke können das technisch nicht leisten.

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