Prigoschin und die Milliarden aus dem Kofferraum
Prigoschin und die Milliarden aus dem Kofferraum
Der russische Warlord Jewgenij Prigoschin ist nach seinem Aufstand nun in Belarus zwischengeparkt. Aber das Geld, das von ihm und den anderen 40 Privatarmeen als Sold für die Kämpfer und als Kompensationszahlungen für Gefallene in die Wirtschaft fließt, hinterlässt dort Spuren. Der Bargeldumlauf in Russland ist hochgeschnellt, und in den Provinzen kaufen sich Hinterbliebene Immobilien. Welche Summen kursieren hier?
Von Eduard Steiner, Moskau
Der russische Warlord Jewgenij Prigoschin ist nach seinem Aufstand nun in Belarus zwischengeparkt. Aber das Geld, das von ihm und den anderen 40 Privatarmeen als Sold für die Kämpfer und als Kompensationszahlungen für Gefallene in die Wirtschaft fließt, hinterlässt dort markante Spuren. Der Bargeldumlauf in Russland ist hochgeschnellt, und in den Provinzen kaufen sich Hinterbliebene Immobilien. Welche Summen kursieren hier? Und was geht da überhaupt vor sich?
Wenn jemand aus dem russischen Establishment zum Abschuss, sprich zur Demontage, freigegeben wird, wofür man gern den russifizierten deutschen Hundebefehl „Fass!“ verwendet, dann funktioniert die Maschinerie wie am Schnürchen. Binnen Stunden ist Material gesammelt sowie die Person öffentlich diskreditiert. Auch wenn im Falle des Warlords Jewgenij Prigoschin die Sache etwas diffiziler war, weil er mit seinem mehrstündigen Marsch auf Moskau am Samstag zuerst seinerseits den Kreml und das russische Militär vorgeführt hatte, so waren die Aktionen, ihn zu demontieren, schnell erfolgreich. Nicht nur seine über das Land verstreuten Rekrutierungszentren wurden von den Behörden gefilzt und er selbst – wohlgemerkt sehr kulant – in Belarus zwischengeparkt. In Sankt Petersburg wurde im Zuge der Durchsuchung des „Wagner Center“ in einem Hotelinnenhof auch ein weißer Kleintransporter mit einer riesigen Summe an Bargeld entdeckt. 4 Mrd. Rubel (knapp 44 Mill. Euro) sollen es gewesen sein – in Fünftausenderscheinen in Schachteln, schrieb das Internetmedium Fontanka. In diesem Fall war die Aktion von den Behörden vielleicht nicht einmal inszeniert, wie das in solchen Fällen oft vorkommt (gern finden russische Ermittler kleine Drogenpakete).
Prigoschin gab zu, dass es sein Geld ist – vorgesehen für Soldzahlungen an die Soldaten seiner paramilitärischen Wagner-Gruppe und für Kompensationszahlungen an die Hinterbliebenen von Gefallenen. Seit Kriegsbeginn kursieren große Mengen dieser Gelder in Russland. Denn auch wenn die Warlords und der Staat bei der Überweisung von Löhnen und Kompensationen eine zynische Säumigkeit an den Tag legen, so geht es dennoch um Summen, die zumindest in den Heimatregionen der meisten Soldaten als groß wahrgenommen werden.
Die Gelder haben inzwischen zu einem Anwachsen der in Umlauf befindlichen Bargeldmenge geführt. Vom Beginn der Teilmobilmachung Ende September 2022 bis zum 1. Juni 2023 ist die Bargeldmenge um 2,2 Bill. auf 17,34 Bill. Rubel gestiegen, zeigen Daten der russischen Zentralbank. Das habe zwar auch mit dem Bedarf an Rubel in den neuen, annektierten Regionen und mit zusätzlichen Sozialleistungen zu tun, wie die Zentralbank kürzlich festhielt. Auch zeuge es von einem Vertrauensverlust in die Banken, einer Zukunftsangst und einer Zunahme des Schattensektors, wie Bloombergs Russland-Ökonom Alexander Isakow in einer Analyse erklärte. Einer der Hauptfaktoren für den starken Anstieg der Bargeldmenge seien aber die Auszahlungen an Soldaten und Hinterbliebene, werden russische Beamte mit Einblick in die Materie von Bloomberg zitiert. Prigoschin selbst hat auch zugegeben, dass er das Geld an Soldaten und Hinterbliebene in bar auszahlt.
Intransparente Haushaltsposten
Westliche Schätzungen ergeben, dass Prigoschins berüchtigte Wagner-Truppe 25.000 bis 50.000 Mann stark gewesen sei und mindestens 20.000 Gefallene zu beklagen habe. Somit beliefen sich allein die Zahlungen an die Hinterbliebenen auf 100 Mrd. Rubel, da pro Person 5 Mill. Rubel (etwa 55.000 Euro) vorgesehen sind – zusätzlich zu noch nicht ausgezahlten Löhnen. Woher das Geld kommt, kann man nur mutmaßen, sind doch seit Kriegsbeginn wichtige Wirtschaftsdaten unter Verschluss. So weiß man zwar, dass – bei einem Einnahmenrückgang um 27% – die staatlichen Budgetausgaben in den ersten fünf Monaten 2023 um 27% explodiert sind. Doch wo das Geld im Detail hinfließt, lässt sich nicht darstellen, weil ein Drittel der Budgetausgaben geheim ist. Im Mai machten die geheimen Ausgaben mehr als 3 Bill. Rubel aus und nahmen dabei den ersten Platz unter allen Haushaltsposten ein. Prigoschins Wagner-Gruppe ist zwar die bekannteste, aber nicht die einzige Privatarmee in Russland, die die staatlichen Militärausgaben in die Höhe treibt. Auch die vom tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow zusammengestellte Truppe „Achmat“ trägt zum gestiegenen Geldfluss bei. Insgesamt gebe es über 40 sogenannte Freiwilligenformationen, sagte der Stellvertretende Verteidigungsminister Nikolaj Pankow. Dazu gehören auch von einzelnen Konzernen gesponserte hauseigene Truppen. Gazprom etwa nennt seine Truppe in Anlehnung an diverse Pipelines „Stream“ oder „Fackel“. Eine andere heißt „Redoute“ (Festung) und war unter anderem in Syrien aktiv. De facto seien viele Militärgruppen ein Weg des Verteidigungsministeriums, an Söldnertruppen zu kommen, die außerhalb des militär-bürokratischen Systems agieren können. Damit könne sich die politische und militärische Führung des Landes auch von Verantwortung freispielen, beschreibt der russische Militäranalyst Pavel Luzin das Phänomen. Ganz allgemein wird angenommen, dass Putin sich so eine weitere Teilmobilmachung erspart. Schon die erste mit 300.000 Reservisten im September ist in der Bevölkerung schlecht angekommen. Die Konzerne gründen ihre militaristischen Gruppen formal als hauseigene Sicherheitsfirmen. Dass Freiwillige von ihnen im Ukraine-Krieg landeten, wurde im russischen Fernsehen schon vor Monaten gezeigt. Staatliche und private Unternehmen seien aufgefordert worden, ihr Geld auch dafür einzusetzen, erklärte ein ehemaliger hochrangiger russischer Beamter im Gespräch mit der „Financial Times“.
Normale Vertragssoldaten erhalten je nach Dienstgrad, Funktion und Berufsjahren zumindest 204.000 Rubel monatlich plus einer Einmalzahlung von 195.000 Rubel (bei Vertragsabschluss für mindestens ein Jahr), wie aus einer Werbeschaltung des Verteidigungsministeriums Anfang April auf Telegram hervorgeht. Einzelne Gebietsgouverneure legten von sich aus nach – so hat etwa der Gouverneur von Sankt Petersburg Anfang Mai seine Einmalzahlungen von 300.000 auf 500.000 Rubel erhöht. Die Gebietschefs stehen unter Druck, Vertragssoldaten zu finden, und geben den Druck an Unternehmen weiter. Im Unterschied zu den Konzernen rekrutierte Prigoschin seine Kämpfer nicht in Unternehmen, sondern zum überwiegenden Teil mit dem Versprechen der Amnestie und guter Gehälter in Gefängnissen, wo er als Jugendlicher selbst gesessen hatte.
Erfolgreich in armen Provinzen
Je weiter weg von Zentren wie Moskau, umso mehr fruchten die Lockrufe des Verteidigungsministeriums und der Privatarmeen, da die versprochenen Löhne und Kompensationszahlungen ungleich höher sind, als vor Ort verdient werden kann. Der Staat gibt den Prozentsatz derer, die unter dem Existenzminimum leben, mit knapp 10% an, was einem historischen Minimum entspricht. Aber weitere 13% würden nur leicht über dem Existenzminimum leben, erklärt Natalja Subarewitsch, Ökonomin der Staatlichen Universität Moskau (MGU) im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Zwar würden mit Vertragssoldaten und eingezogenen Rekruten, aber auch durch lukrative Angebote seitens der Rüstungsindustrie den Regionen wichtige Arbeitskräfte entzogen. Im Gegenzug aber würden diese Leute viel Geld nach Hause überweisen. Schon vor Monaten zeigten Berichte zur Dynamik russischer Hypothekarkredite, dass die Nachfrage in den Regionen angezogen habe. „Die Leute am Land und in kleineren Städten haben Geld überwiesen bekommen, und sie wollen ein Haus oder eine Wohnung kaufen“, sagt Subarewitsch. Oft auch mit Geld, das Prigoschins Armee den Hinterbliebenen gefallener Soldaten hat zukommen lassen.
Jewgenij Prigoschin gibt offen zu, dass er Sold und Zahlungen an Hinterbliebene gerne in bar leistet.