US-Privatverschuldung

Rekordschulden vertiefen soziale Kluft in den USA

Die Privatschulden der US-Haushalte haben während der Coronakrise enorm zugenommen. Während die einen Ökonomen beschwichtigen, sehen andere eine große Gefahr – ähnlich der Lage vor der Finanzkrise 2008.

Rekordschulden vertiefen soziale Kluft in den USA

Von Peter De Thier, Washington

Die Privathaushalte in den USA rutschen immer tiefer in die roten Zahlen. Wie aus einer Studie der Federal Reserve Bank of New York hervorgeht, kletterte die Verschuldung der privaten Haushalte im dritten Quartal zum ersten Mal in der Geschichte auf über 15 Bill. Dollar und entspricht nun mehr als der Hälfte der Zahlungsverpflichtungen, die der Staat hat. Was die wirtschaftlichen Folgen anbetrifft, gehen bei Ökonomen die Meinungen auseinander.

Einige geben unter Hinweis auf die insgesamt günstige Finanzlage der Haushalte Entwarnung und sind der Ansicht, dass die Angst vor steigenden Zinsen und einem potenziellen Wachstumseinbruch übertrieben ist. Andere befürchten Verdrängungseffekte, eine höhere Arbeitslosigkeit und womöglich sogar eine neue Finanzkrise. Einig sind sich Experten lediglich in einem Punkt: Die private Verschuldung ist ebenso wie die Vermögensverteilung unausgewogen und wird dazu führen, dass das Wohlstandsgefälle weiter wächst.

Wie der Fed-Ableger feststellt, stieg die private Verschuldung von Juli bis September dieses Jahres um 286 Mrd. auf 15,24 Mrd. Dollar und liegt somit um 1,1 Bill. Dollar über dem Stand von Ende 2019, also unmittelbar vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie. Deutlich stärker ist der Kontrast gegenüber der globalen Finanzkrise. Damals übernahmen sich US-Bürger mit Häuserkrediten, die sie während der Rezession nicht mehr bedienen konnten. Dennoch lag die Gesamtverschuldung damals fast 2,6 Bill. Dollar niedriger als im dritten Quartal dieses Jahres.

Für sich genommen müsste das ein alarmierendes Signal sein, sagen einige Experten. So hat der Internationale Währungsfonds (IWF) bereits vor einigen Jahren in seinem Bericht zur globalen Finanzstabilität (GFSR) darauf hingewiesen, dass höhere Verschuldung über Konsumausgaben und Investitionen kurzfristig einerseits das Wachstum ankurbelt. Mittelfristig bremse die Schuldenlast aber die Wirtschaftstätigkeit und erhöhe die Gefahr einer neuen Bankenkrise, stellte IWF-Volkswirt Nico Valckx in der Studie fest.

Auch andere Ökonomen wittern Gefahren. Sie weisen darauf hin, dass die Summe aus der Staatsverschuldung von etwa 29 Bill. Dollar und den privaten Schulden von 15 Bill. Dollar fast 200% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der USA ausmacht. Verdrängungseffekte, die dann auftreten, wenn der Staat mit Haushalten und privaten Investoren um Finanzierungsmittel konkurriert, könnten zu höheren Zinsen führen und das Wachstum weiter abwürgen –  erst recht, wenn die Preise stark steigen, was derzeit der Fall ist.

In diesem Sinne hatte der Congressional Research Service (CRS) bereits im März dieses Jahres eine Warnung ausgesprochen: Der hohe Schuldenstand der Haushalte könne in einer Krise münden, wenn die Teuerungsrate weiter zulegt und die Notenbank diese mit Zinserhöhungen zu bekämpfen versucht. Im März hatte der PCE-Preisindex bei 2,3% gelegen und erreichte im Oktober 5,0%. Nun wird damit gerechnet, dass die Fed spätestens Mitte nächsten Jahres den Leitzins anhebt. Abzuwarten bleibt, ob dann das vom CRS prognostizierte Krisenszenario tatsächlich eintreten wird.

Gelassener schätzen andere Ex­perten die Folgen der historisch hohen Privatverschuldung ein. Wie Joseph Brusuelas, Chefvolkswirt beim Wirtschaftsprüfungsunternehmen RSM, meint, ist die Tatsache entscheidend, dass parallel zu den gestiegenen Zahlungsverpflichtungen auch die Privatvermögen ge­wachsen sind, und zwar mit einem deutlich höheren Tempo. „Die Sorgen über eine angebliche Überschuldung sind übertrieben“ meint Brusuelas. Der Ökonom weist darauf hin, dass von 2012 bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie die Bruttoschulden der Haushalte um nur 24% wuchsen und deren Privatvermögen in demselben Zeitraum um 78% stiegen. Gepaart mit höheren Einkommen sei die Finanzlage der privaten Haushalte und deren Fähigkeit, ihre Schulden zu bedienen, also deutlich günstiger als in der Finanzkrise vor zwölf Jahren.

Dieses Argument übersieht allerdings eine Gefahr, welche die ungleiche Verteilung der Schulden birgt. Nach Angaben der Notenbank wuchsen nämlich die Vermögen des reichsten Prozents aller Haushalte während der letzten 30 Jahre um 167%, während die der unteren 50% ein Viertel ihres Werts einbüßten. Wie der Nationalökonom Ed Dolan von der Yale-Universität feststellt, tragen diese aber 81% aller Privatschulden. Viele hätten während der Coronavirus-Pandemie, als der Staat erweiterte Arbeitslosenhilfe zahlte und andere Zuwendungen garantierte, die nun aber ausgelaufen sind, neue Schulden aufgenommen.

Diese zu bedienen sei ohne Staatshilfen und angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Arbeitslosen noch um 1,7 Millionen über dem Vorkrisenniveau liegt, nun umso schwieriger. „Die Folge ist, dass sich die Schere zwischen den Reichen und Armen immer weiter öffnen wird“, sagt Dolan. Das immer größere Wohlstands- und Einkommensgefälle behält auch Notenbankchef Jerome Powell im Auge. Powell hat unumwunden darauf hingewiesen, dass „wir eine robuste, aber zunehmend unebene Erholung haben“, in der Arbeitslosigkeit und Einkommenschwäche „jene am härtesten treffen, die diese am wenigsten verkraften können“.

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