Commerzbank

Remanenzrisiko

Wenn die Commerzbank fast jeden Dritten gehen lässt, muss sie sich jetzt voll auf die Motivation derjenigen konzentrieren, die bleiben.

Remanenzrisiko

Jeder, der schon mal in einem deutschen Großkonzern gearbeitet hat, kennt das: Häufig beginnt es damit, dass Projekte sang- und klanglos eingestellt oder auf unbestimmte Zeit verschoben werden, vor allem solche, die in erster Linie der Mitarbeiterzufriedenheit dienlich sein sollen. Dann wartet man vergeblich auf informell längst angekündigte Beförderungen oder Neueinstellungen von Kollegen. Irgendwann setzt der Flurfunk ein, Gerüchte über Sparmaßnahmen machen die Runde. Spätestens jetzt beginnen die ersten über 50-Jährigen, beim Betriebsrat oder im Intranet zu recherchieren, welche Jahrgänge in der letzten Sparrunde die Exit-Option hatten ziehen können.

Wer denkt, dass der Spuk ein Ende hat, wenn das Management die Kürzungspläne bestätigt, irrt. Denn zumindest in mitbestimmungspflichtigen Unternehmen muss die Ausgestaltung der Restrukturierungspläne ja mit den Vertretern der Arbeitnehmerseite ausgehandelt werden. Je nachdem, wie hoch der Spardruck ist und wie konstruktiv das Verhältnis zum Betriebsrat, kann sich dieser Prozess über viele Wochen ziehen, über Monate oder auch, wie im Fall der Commerzbank, auch mal über Jahre.

Spätestens seitdem vor mehr als zwei Jahren die ersten Gerüchte über eine mögliche Fusion mit der Deutschen Bank die Runde machten, dürfte vielen Beschäftigten der Commerzbank gedämmert sein, dass trotz des massiven Stellenabbaus, der auf die Übernahme der Dresdner Bank folgte, auch ihre Stelle über kurz oder lang gefährdet sein dürfte. Wenige Monate nach dem Ende der Fusionsgespräche sah es dann schon einmal so aus, als ob es losgehen würde. Doch obwohl der im September 2019 veröffentlichte Plan des alten Managementteams, konzernweit 4 300 Stellen zu streichen, den meisten Investoren nicht weit genug ging, kam es hier nicht einmal zu offiziellen Gesprächen mit den Gremien der Arbeitnehmer. Stattdessen kamen und gingen neue Aufsichtsräte und Vorstandsmitglieder, während sich die Beschäftigten der stolzen Commerzbank in einem unproduktiven Klima der Unsicherheit und Lähmung arrangieren mussten.

Daher wäre es für alle Beteiligten ein Gewinn, wenn dieses Kapitel auf der für heute anberaumten Sitzung des Gesamtbetriebsrats endlich abgeschlossen würde. Innerhalb der nächsten Wochen könnte sich klären, wer mit welchen finanziellen Mitteln seinen nächsten Lebensabschnitt außerhalb der Bank planen wird. Und wer, ob freiwillig oder eher notgedrungen, die Herausforderung annimmt, die neue, schlankere und hoffentlich auch digitalere Commerzbank mitzugestalten.

So ein Neustart kann Spaß machen und einer Organisation regelrecht Flügel verleihen – aber nur, wenn die Motivation in der Mannschaft stimmt. Deshalb sollte die Commerzbank bei der Abwicklung der Arbeitsverhältnisse lieber mehr als weniger Kulanz an den Tag legen. Aus Stichtagstreue und anderen formalen Erwägungen sollte kein rückzugswilliger Nörgler gehalten werden. Vor allem dann nicht, wenn es sich dabei um Führungskräfte hierarchischer Prägung handelt, die mit zeitgemäßeren Führungsmodellen hadern und zu keinerlei Abstrichen bei ihren qua Laufbahn erworbenen Privilegien bereit sind.

Seit Jahren experimentiert die Commerzbank mit agilen Arbeitsmethoden herum. Ob diese schon alle Bereiche durchdrungen hat, wie das Institut in der Vergangenheit gerne mal behauptete, darf bezweifelt werden. Überkommene Strukturen lassen sich nicht einfach über Nacht abschaffen, schon gar nicht in einer konservativen Branche wie der Kreditwirtschaft. Firmenkunden- und Privatkundensparte trennen nicht nur aufgrund bisweilen divergierender Interessen, sondern auch aus Standesdünkel Welten. Manche Führungskräfte, die schon vor dem Beginn der Genderdebatte Karriere gemacht haben, verdanken diesen Umstand womöglich weniger ihrer Eignung als ihrem in der Regel männlichen Geschlecht. Der Wettbewerbsfähigkeit der Commerzbank wäre es sicher nicht abträglich, wenn sie einen Teil dieser Altlasten abwürfe. Vor allem aber darf sich das Institut keine größeren IT-Pannen mehr leisten. Wenn das Haus die Digitalisierung nutzen will, um den Laden mit einer deutlich kleineren Mannschaft zu schmeißen, muss auf die internen Systeme und jene der Dienstleister Verlass sein. Gewiss ist es unangenehm, sich zurzeit einen neuen Job zu suchen. Das schmälert jedoch nicht die persönliche Bereitschaft der verbleibenden Belegschaft, ein ganz persönliches Remanenzrisiko einzugehen. Diese verdienstvolle Entscheidung sollte nicht mit frustrierenden Technikerlebnissen vergolten werden.

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