Ressourcen

Russlands Wald – wertvoller als Öl

Millionen Hektar russischen Waldes brennen derzeit. Auch wird eifrig illegal gerodet. Aber das Land und die Welt erkennen allmählich seine Ressourcen. Wie steht es wirklich um ihn?

Russlands Wald – wertvoller als Öl

Von Eduard Steiner, Moskau

Wenn der russische Wald wieder mal von sich reden macht, betrifft das die Welt mehr, als vielen wohl bewusst ist. Schließlich beheimatet das Land mit 800 Mill. Hektar ein Fünftel der globalen Bestände. Und die jüngsten Nachrichten von dort sind schlecht.

Die eine lautet, dass Waldbrände in einem Ausmaß toben wie selten zuvor. Offiziellen Daten zufolge brennt es auf rund 2 Mill. Hektar. Das ist allemal dramatisch – und doch für sich nicht ungewöhnlich. Schließlich brennt in dem Riesenland jährlich eine Fläche von etwa 15 Mill. Hektar Wald ab, erklärte Konstantin Kobjakow vom World Wide Fund for Nature (WWF) kürzlich. Seit Anfang 2021 waren es laut Staatsamt für Forstwirtschaft bereits 10,2 Mill. Hektar.

Zur Nachricht von den Bränden gesellte sich kürzlich die Enthüllung der Umweltorganisation Earthsight, dass Ikea für Kindermöbel illegales Holz aus geschützten Wäldern Russlands verwende. Ikea dementierte und erklärte, einen bestimmten Zukauf bei einem inkriminierten Geschäftsmann gestoppt zu haben.

Doch wie steht es um den russischen Wald? Wie bedeutsam ist er ökonomisch wie ökologisch?

Die Boston Consulting Group (BCG) schätzte im Vorjahr den Wert dieser Ressource auf 4 Bill. Dollar – um 28% höher als die Reserven an russischem Öl. Doch, so BCG, könnte der Wert bis 2050 um 10 bis 30% sinken: Und zwar, weil dem Wald neben der Erderwärmung Brände, irrationale und illegale Einschläge sowie Nachlässigkeit bei der Wiederaufforstung zusetzen. Es braucht neue Strategien.

Das ist leichter gesagt als getan. Etwa bei den Bränden. Vergleiche man Russland mit Kanada, dem drittgrößten Waldbesitzer, betrage die dort im Schnitt pro Jahr abgebrannte Fläche 0,72 % des Bestandes, sagt Alexej Bogatyrjow zur Börsen-Zeitung. In Russland sei der Prozentsatz mit 1,88 fast drei Mal so hoch, was vor allem daran liege, dass der Norden und Osten kaum besiedelt und Brandbekämpfung sowie Waldpflege dort nahezu unmöglich seien. Bogatyrjow ist Chef von Lesprom Network, einem führenden Informationsdienst der russischen Holzbranche und Großhandelsplattform.

Kein Wald für Private

Hinzu kommt, dass in Russland Privatpersonen und -firmen keinen Wald besitzen dürfen. Selbst eine langfristige Pacht auf 49 Jahre ist erst seit einigen Jahren erlaubt. Das Besitzverbot erschwert laut Bogatyrjow nicht nur die Bewertungen. Es bewirke auch, dass der Grad der Wiederaufforstung nur rund zwei Drittel der geernteten Menge betrage. Hat eine Firma eine möglichst langfristige Pacht inne, funktioniert auch die Wiederaufforstung, zumal sie Bedingung für das FSC-Nachhaltigkeitszertifikat ist, das Firmen für den internationalen Holzverkauf brauchen. Eine Nuance des Besitzproblems sind einstige Agrarnutzflächen, die mit Wald zugewachsen sind. Wie Andrej Schegoljow vom WWF in einem Interview sagte, geht es um 70 Mill. Hektar. Eine Genehmigung zum Holzeinschlag sei nur zu bekommen, wenn man wieder eine agrarische Nutzung anstrebe. Diese werde oft fingiert, sodass hier illegal riesige Einschläge stattfänden. Schätzungen zufolge beträgt der illegale Einschlag landesweit 20 bis 30% der jährlich gefällten 200 bis 220 Mill. Kubikmeter. Offiziell sind es nur 0,5%. Immerhin ist die Tendenz laut Bogatyrjow rückläufig.

Neben dem Druck internationaler Nachhaltigkeitsprüfer etabliert Russland selbst seit 2015 ein automatisiertes Informationssystem zur Erfassung von Rodung und Verkauf. Am 1. Juli dieses Jahres wurde es auf das ganze Land ausgeweitet, um auch den relativ großen Schwarzmarkt vor allem im Fernen Osten einzudämmen. Auch gelten bis Jahresende neue Exportzölle für bestimmte Holzarten. Und ab 1. Januar 2022 ist ein Exportverbot für Nadelrundholz geplant.

Die Regierung will die Wertschöpfung im Inland forcieren. Und so wird Russland zumindest bei Rundholz weiter Marktanteile in der Welt verlieren, wie schon durch bisherige Exporthindernisse geschehen. War Russland früher diesbezüglich größter Exporteur in seinen Hauptmarkt China, wurde es inzwischen von Neuseeland und Deutschland überrundet. 2020 exportierte Russland 15,6 Mill. Kubikmeter Rundholz in die Welt, was 12% der globalen Exportmenge entsprach. Das Exportverbot ab 2022 könnte „weitreichende Folgen für den globalen Markt“ haben, schreibt Lesprom Network. Beim Schnittholzexport steht Russland mit seinen 31,9 Mill. Kubikmetern (2020) zwar hinter Kanada zurück, kam aber in China auf einen Marktanteil von 46%.

Doch wie groß ist die ökologische Funktion des russischen Waldes? Der Trumpf sei, dass er eine deutlich geringere Baumdichte aufweise als tropische Wälder, schrieb die ETH Zürich vor zwei Jahren, sprich, es sei Platz für Aufforstungen, um mehr CO2 zu absorbieren. Das große Öko-Geschäft stehe ohnehin erst noch bevor, meint die Moskauer Higher School of Economics und nennt mögliche Jahreseinkünfte von 50 Mrd. Dollar aus der CO2-Speicherung.

Gerade bei der von der EU geplanten CO2-Grenzsteuer steige die Bedeutung des Waldes für den Handel, so Bogatyrjow. Das Problem sei die Diskrepanz in der Bewertung: Während die Uno im Rahmenabkommen zum Klimawandel dem russischen Wald zuspreche, 200 Mill. Tonnen CO2 absorbieren zu können, nenne das russische Naturministerium 2 Mrd. Tonnen: Ein neues Bewertungsmodell sei nötig. „Russland hat damit einfach noch wenig Erfahrung“, so Bogatyrjow.

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