Unterm Strich

Schampus für die Rentner

Die angehenden Ampel-Koalitionäre scheuen die überfällige Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und reichen ein Nasenwasser.

Schampus für die Rentner

Da haben sich etliche Rentnerhaushalte schon mal den Champagner in den Kühlschrank gelegt: Um jeweils mehr als 5% werden die gesetzlichen Renten 2022 und 2023 in Deutschland steigen, wenn es nach den Vorausberechnungen des jährlichen Rentenversicherungsberichts aus dem Bundesarbeitsministerium geht. In Westdeutschland wäre es das größte Plus seit fast 40 Jahren. Für Stimmung werden diese Zahlen aber nicht nur bei den Rentnern sorgen, sondern auch unter den Koalitionären der angestrebten Ampel-Regierung. Denn Grund für die außergewöhnliche Steigerung ist eine Ermittlungsmethode der Rentenanpassung, die noch die Handschrift des früheren Arbeitsministers, späteren Finanzministers und voraussichtlich künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz trägt. Demnach folgen die Altersbezüge der Lohnentwicklung, doch sind bei sinkenden Löhnen Rentenkürzungen schon seit 2008 gesetzlich ausgeschlossen. Außerdem wurde 2018 der sogenannte Nachholfaktor, der krisenbedingte Schwankungen in den Anpassungen über die Jahre ausgleichen soll und für 2022 nur eine halb so hohe Rentenerhöhung bedeutet hätte, bis zunächst 2025 ausgesetzt.

Begünstigt von Corona

Schön für die Rentner, denn damit zählen sie wirtschaftlich zu den Begünstigten der Corona-Pandemie. Weniger schön für die Jungen und Beitragszahler, denn sie müssen den Champagner für die Alten bezahlen. Nicht ohne Grund haben überwiegend die Alten bei der Bundestagswahl im September ihr Kreuzchen bei der SPD gemacht, während die Jungen in der Hoffnung auf mehr Generationengerechtigkeit vor allem FDP und Grüne gewählt haben.

Wann in Rente?

Das Problem: Deutschland kann sich weder die Rentenerhöhungen der nächsten Jahre noch die aktuelle Architektur der gesetzlichen Rentenversicherung weiter leisten. Leider haben das aber die künftigen Koalitionäre noch nicht erkannt, wie ihr Sondierungspapier zeigt, nach dem sie das Renteneintrittsalter nicht antasten wollen. Der Kronberger Kreis, wissenschaftlicher Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, hat dieser Tage bei der Vorstellung seiner Studie zu den Herausforderungen der neuen Bundesregierung festgestellt, dass mit Blick auf die drei großen Themen Demografie, Klimaschutz und Digitalisierung die Politik bei der Demografie die Zeichen der Zeit am wenigsten erkannt habe. Allein bis Ende der neue Legislatur im Jahr 2025 werde der Bundeshaushalt den Sozialkassen zusätzliche 144 Mrd. Euro aus Steuermitteln zuweisen müssen, um die Gesamtbelastung der Löhne und Gehälter durch Sozialbeiträge nicht über die 40-Prozent-Marke steigen zu lassen. Damit die Zeitbombe Demografie nicht den Bundeshaushalt sprengt, schlagen die Ökonomen quasi als Sofortmaßnahme die Wiedereinführung des Nachholfaktors vor und auf Sicht die weitere Erhöhung der Lebensarbeitszeit, und zwar gekoppelt an die Entwicklung der Lebenserwartung.

Wenn man das bisherige Verhältnis von Beitragssatz zu Nettorentenniveau halten will – und eine Verschlechterung wäre sozialer Sprengstoff und politisches Harakiri –, dann müsste laut Kronberger Kreis die zusätzliche Lebenserwartung im Verhältnis zwei zu eins zwischen Arbeits- und Rentenzeit aufgeteilt werden. Wenn also die Lebenserwartung um ein Jahr steigt, müsste acht Monate länger gearbeitet und Beitrag gezahlt werden. Man kann sich ausmalen, welchen Aufstand solche Pläne beim noch arbeitenden Teil der Bevölkerung auslösen.

Aber was ist die Alternative? Höhere Rentenbeiträge oder künftige Leistungskürzungen träfen ebenfalls in erster Linie die „Jüngeren“, die noch im Arbeitsleben stehen. Die Option, diese Lasten wie in der Vergangenheit einfach auf die nächste Generation weiterzuwälzen und das Rentenniveau via Staatskasse zu halten, scheidet dank Schuldenbremse aus. Es sei denn, die haushaltspolitischen Spielräume würden für die Sicherung des Lebensstandards der Rentner verfrühstückt und der Klimawandel beziehungsweise seine Bekämpfung vertagt. Denn ob nachfolgende Generationen unter dem Klimawandel leiden, weil Deutschland seine Hausaufgaben für das 1,5-Grad-Ziel nicht erledigt, wird die heutige Rentner-Generation ohnehin nicht mehr erleben. Und politisch haben längst die Rentner und Demnächst-Rentner das Sagen: Fast die Hälfte aller Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl waren 55 Jahre und älter.

Dabei stellt die munter wachsende Alimentierung der Renten durch den Bundeshaushalt nur den sichtbaren Teil der Schieflage in der Generationenbilanz dar. Neben der sichtbaren Staatsschuld, die auch durch die Corona-Hilfen 2021 von vorher 60% auf gut 70% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anschwillt, läuft insbesondere die heute noch nicht sichtbare, sogenannte implizite Staatsschuld aus dem Ruder. Die regelmäßig von einer Arbeitsgruppe unter Leitung des Ökonomen und Demografie-Experten Bernd Raffelhüschen errechnete Generationenbilanz weist zwischen Sommer 2020 und Sommer 2021 einen Anstieg der impliziten Staatsschuld von 285 Mrd. auf 370 Mrd. Euro aus. Damit ist vom riesigen Eisberg der 440 Mrd. Euro Staatsverschuldung nur die Spitze mit 16% zu sehen, während 84% unter Wasser bleiben, um ein in der Klimapolitik beliebtes Bild zu bemühen.

Mickriger Kapitalstock

Während aber die ökologische Nachhaltigkeit – zum Glück – die Menschen auf die Straße treibt und Politiker zu Konferenzen und Gipfeltreffen, hat die finanzielle Nachhaltigkeit wenig Fürsprecher. Dass die angehenden Ampel-Koalitionäre die umlagefinanzierte gesetzliche Rente nun um eine kapitalgedeckte Altersvorsorge ergänzen wollen, ist angesichts der lächerlichen Größenordnung von 10 Mrd. Euro Kapitalstock nicht mehr als ein Nasenwasser. Mit Blick auf den munter wachsenden Schuldenberg und den fehlenden politischen Willen zum nachhaltigen Umbau der Rentenversicherung sollte der Champagner vorerst im Kühlschrank bleiben.

c.doering@boersen-zeitung.de

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