Energiepolitik

Spanien will Alternative zum russischen Gas sein

Bei den Plänen der EU für mehr Energieunabhängigkeit von Russland kommt ein alter Plan wieder auf den Tisch. Der Ausbau der Gasleitungen zwischen Spanien und Frankreich wurde vor drei Jahren gestoppt. Der Krieg in der Ukraine macht Bedenken hinfällig.

Spanien will Alternative zum russischen Gas sein

Von Thilo Schäfer, Madrid

Der russische Angriffskrieg in der Uk­raine hat in Europa viele Fragen über die Energiepolitik der Vergangenheit aufgeworfen. Während in Deutschland die Einsicht über das Ri­si­ko von Nord Stream 2 eingekehrt ist, bereut man in Madrid und Brüssel, den Bau einer Gasleitung zwischen Spanien und Frankreich ge­stoppt zu haben. Vor drei Jahren wurde das 2013 von Spanien, Frankreich und Portugal ins Leben gerufene Projekt der Pipeline Midcat – später umbenannt in South Transit East Pyrenees (STEP) – nach ersten Arbeiten wieder begraben. Spanische und französische Aufseher sowie die EU-Kommission kamen 2019 zu dem Schluss, dass der Bau der Leitung durch die Pyrenäen zu teuer sei und dass es keinen Markt für Erdgas aus Spanien gäbe.

Durch den Ukraine-Krieg steht die Gasverbindung zwischen Spanien und Frankreich wieder ganz oben auf der Agenda bei den Überlegungen, wie man sich von der Abhängigkeit vom russischen Erdgas lösen kann. „Spanien wird eine sehr wichtige Rolle bei der Energieversorgung Europas spielen“, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst bei einem Besuch in Madrid. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach mit der spanischen Wirtschaftsministerin Nadia Calviño „sehr intensiv“ über die Interkonnektivität der Netze in Europa. „Spanien hat nicht nur eigene Bezugsquellen aus Nordafrika, sondern, wenn ich das richtig sehe, auch sieben Flüssiggasterminals. Deutschland hat null. Dort liegen kurz- und mittelfristig Potenziale für eine Zusammenarbeit“, sagte Lindner Anfang März in Madrid.

Viel Speicherkapazität

Mit sechs Aufbereitungsanlagen für Flüssigerdgas – und einer weiteren in Planung – verfügt Spanien über mehr LNG-Terminals als jedes andere Land in Europa. Auch bei der Speicherkapazität ist das Land auf dem Kontinent führend. Außerdem bezieht Spanien seit Jahrzehnten Erdgas aus Algerien durch zwei Pipelines im Mittelmeer. Das Problem ist jedoch die schlechte Verbindung zum Rest Europas. Die Pyrenäen sind ein Nadelöhr, sowohl was die Gas- als auch die Stromleitungen angeht. Die bestehenden zwei Gasleitungen haben eine Kapazität von jährlich 8 Mill. Kubikmetern. Die abgebrochene Midcat-Pipeline hätte diese Menge verdoppelt.

Nun wird Algerien als Alternative zu russischem Erdgas gehandelt. Spanien unterhält eine langjährige Handelsbeziehung zum Nachbarn im Maghreb über die staatliche algerische Sonatrach und den privaten spanischen Energieversorger Naturgy. Die Beziehungen verliefen in den letzten zwei Jahrzehnten ohne große Probleme. Zuletzt allerdings zeigten sich die geopolitischen Risiken. Algerien sperrte 2021 die Pipeline, die über Marokko zur Iberischen Halbinsel führt. Eine weitere Leitung geht durchs Mittelmeer direkt nach Südspanien und wurde zuletzt ausgebaut. Einer der Gründe des diplomatischen Konflikts der beiden Maghreb-Nachbarländer war die Westsahara. Marokko erhebt Ansprüche auf die frühere spanische Kolonie an der Atlantikküste, während Algerien die politische Organisation der Sahrauis unterstützt und beheimatet.

Der jahrzehntealte Streit um die Westsahara hat dieser Tage erneut für Verstimmungen gesorgt. Algerien zog am Wochenende seinen Botschafter aus Madrid ab, nachdem die spanische Regierung in einer überraschenden Kehrtwende ihrer jahrelangen Position den Vorschlag Marokkos für einen Autonomiestatus der Westsahara begrüßte. Nun wird in Spanien darüber spekuliert, welche Konsequenzen das algerische Regime ziehen könnte. Aufgrund der hohen Abhängigkeit von den Einnahmen aus dem Erdgasexport rechnen Experten jedoch kaum damit, dass Algerien den Hahn zudrehen könnte.

Massiver LNG-Ausbau

Die Politik ist nicht der einzige Nachteil Algeriens als stabiler Energielieferant. „Trotz seiner großen Reserven hat Algerien in den vergangenen acht Jahren gezeigt, dass es nicht imstande ist, seine Förderung zu erhöhen, aufgrund interner Probleme und auch eines gestiegenen Binnenkonsums, der die Exporte verringert hat“, kommentiert Alberto Martín Rivals, Energieexperte der Beratungsfirma KPMG, in seinem Blog.

Um die Abhängigkeit vom Erdgas aus dem Maghreb zu reduzieren, investierte Spanien in den letzten Jahren massiv in den Bau von LNG-Terminals an der Atlantik- und der Mittelmeerküste. Das Ergebnis zeichnet sich allmählich ab. Im vergangenen Jahr importierte Spanien noch knapp 43% seines Erdgases aus Algerien. Im Februar waren es nur noch 23% nach Zahlen von Enagás, dem börsennotierten, aber staatlich kontrollierten Monopolisten der Erdgasleitungen. Die USA waren mit rund einem Drittel erstmals der wichtigste Gaslieferant. Laut Enagás erhöhten sich die Slots für Tanker, die das Flüssigerdgas nach Spanien bringen, im Winter auf 145 gegenüber 86 im Vorjahr.

Spanien bringt daher die Voraussetzungen dafür mit, den politisch gewollten Ausfall des russischen Erdgases zu einem großen Teil kompensieren zu können. Doch der Bau einer Pipeline geht nicht von heute auf morgen. Die Linksregierung in Madrid schaut zudem weiter in die Zukunft und auf den Kampf gegen den Klimawandel. Eine neue Leitung müsse daher auch den Transport von grünem Wasserstoff ermöglichen. Denn auch bei dieser Zukunftsenergie ist Spanien mit seinem sonnigen Klima und den weiten, dünn besiedelten Gegenden für den Ausbau von Ökostrom als Energielieferant für Europa bestens positioniert.

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