LeitartikelLabour an der Macht

Starmers missglückter Neubeginn

Keir Starmer hat die Chance verschenkt, Anfang 2025 neue Akzente zu setzen. Noch ist Zeit, das Ruder herumzureißen.

Starmers missglückter Neubeginn

Labour an der Macht

Missglückter Neubeginn

Von Andreas Hippin

Keir Starmer hat
die Chance verschenkt, Anfang 2025 neue
Akzente zu setzen.
Noch ist Zeit, das Ruder herumzureißen.

Wer gehofft hatte, dass die britische Regierung nach den Feiertagen endlich das tun würde, was sie im Wahlkampf versprach, wurde eines Besseren belehrt. Eigentlich wollte Premierminister Keir Starmer die vorübergehende Beruhigung der Lage dazu nutzen, in einer programmatischen Rede zum Jahresbeginn mit seinen Vorstellungen für den Umbau des öffentlichen Gesundheitswesens NHS zu punkten. Das hätte zu seinem Anspruch gepasst, dass Labour mit ruhiger Hand regieren wird.

Doch ließ er sich vom US-Milliardär Elon Musk aus der Bahn werfen, der sich in seinen spätnächtlichen Ergüssen auf seinem Sozialen Netzwerk X zuletzt verstärkt der britischen Innenpolitik widmete. Statt sich davon nicht beirren zu lassen, schweifte Starmer ab. Dass er dabei Forderungen nach einer landesweiten Untersuchung der Umstände, die es kriminellen Banden vielerorts ermöglichten, Tausende Minderjährige sexuell auszubeuten, eine Absage erteilte, zeugt von mangelndem politischen Gespür.

Toxische Zuwanderungsdebatte

Eine Aufarbeitung wäre dringend nötig. Denn neben Musk hat auch Nigel Farages aufstrebende Rechtspartei Reform UK das Thema für sich entdeckt. Schließlich waren viele Täter pakistanischer Herkunft. Führende Tories nahmen die Einladung zu einer weiteren Runde der toxischen Zuwanderungsdebatte dankend an.

Doch statt diese unangenehme Auseinandersetzung zu führen, beließ es Starmer dabei, jede Kritik der extremen Rechten zuzuordnen. Gerade dort, wo solche Banden nach wie vor ihr Unwesen treiben, dürfte ihm das wenig Sympathie einbringen.

Planlos in die Pflegekatastrophe

Den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass die Misere im National Health Service (NHS) endlich angegangen wird, wäre wichtiger gewesen. Bislang beließ es die Regierung bei satten Lohnerhöhungen für die Mitarbeiter. Die alljährliche Grippewelle zeigt, dass sich die Leistungsfähigkeit des Systems dadurch nicht erhöht hat. Die Geduld der Bevölkerung ist langsam erschöpft, zumal der NHS nicht weniger kostet als Gesundheitssysteme in anderen europäischen Ländern.

Zudem wirft das Chaos in den Notaufnahmen ein Schlaglicht darauf, dass Labour wider Erwarten keinen Plan für die Altenpflege hat. Viele Krankenhausbetten werden von alten Menschen belegt, die eigentlich entlassen werden müssten. Doch gibt es für sie zu Hause keine Betreuung. Deshalb behalten die behandelnden Ärzte sie lieber im Haus. Für Gesundheitsminister Wes Streeting hat das Thema offenbar keine Priorität.

Sozialer Sprengstoff

Kein Wunder: Es birgt jede Menge sozialen Sprengstoff. Der naheliegende Ausweg wäre, Familienangehörige in die Verantwortung zu nehmen. Im Land der Immobilienbesitzer könnte man auch selbst genutztes Wohneigentum zur Finanzierung der explodierenden Pflegekosten heranziehen. Davon wären aber auch Labour-Wähler betroffen. Auch dieser Diskussion geht die Partei lieber aus dem Weg.

Peinlich sind die gegen die City-Ministerin Tulip Siddiq erhobenen Vorwürfe aus Bangladesch. Sie soll vom Regime ihrer Tante profitiert haben, der durch Massenproteste zu Fall gebrachten Premierministerin des südasiatischen Landes. Dabei geht es um von ihr genutzte Londoner Immobilien.

Steigende Renditen

Auch Schatzkanzlerin Rachel Reeves steht unter Druck. Die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen stiegen zuletzt auf ein höheres Niveau als während der Amtszeit von Liz Truss, die den Markt mit einem nicht gegenfinanzierten Wachstumshaushalt überraschte. Das könnte die Bank of England zum Eingreifen zwingen. Reeves ist der Ernst der Lage offenbar nicht bewusst, sonst wäre sie nicht zu einem Staatsbesuch in die Volksrepublik China aufgebrochen, der kaum Ergebnisse zeitigte.

Der missglückte Neubeginn hat aber einen Vorteil: Er zeigt den Ernst der Lage. Starmer befindet sich erst am Anfang der Legislaturperiode. Noch ist es nicht zu spät, das Ruder herumzureißen.

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