Start me up, please!
„Selbstfahrender Toyota fährt blinden Athleten an“ und „Toyota stoppt selbstfahrende Autos nach Unfall“ – diese Schlagzeilen in deutschen Medien über eine Kollision im Olympischen Dorf stellten indirekt die technologische Kompetenz des Autobauers in Frage. Dabei hatte sein Selbstfahrsystem in Wirklichkeit perfekt funktioniert – es erkannte den Zweibeiner, der die Straße überqueren wollte, und bremste selbständig. Doch der Mensch am Lenkrad, der in Japan für „selbstfahrende“ Fahrzeug vorgeschrieben ist, drückte den Override-Knopf und ließ den Kleinbus in der Annahme weiterfahren, dass die Person am Straßenrand stehenbleiben würde. Nur: Der Paralympics-Teilnehmer, ein japanischer Judoka, konnte den Bus aufgrund seiner starken Sehbehinderung nicht wahrnehmen und lief direkt in das Fahrzeug hinein.
Nach tagelanger Untersuchung des Vorfalls hat Toyota die Shuttle-Fahrten für die Teilnehmer der Paralympics wieder aufgenommen. Dass die Technologie also doch fehlerlos arbeitete, ließ halb Japan aufatmen.
Denn die Nation mit dem weltweit höchsten Anteil an über 65-Jährigen braucht autonome Fahrzeuge besonders dringend, weil es wegen der Alterung an Fahrern für Busse, Lastwagen und Lieferdienste mangelt. Das Gleiche gilt für den Schiffsverkehr rings um die Inselnation: So sind 40% der Seeleute auf Tankschiffen über 55 Jahre alt.
Diese Personalnöte erklären, warum der weltweit erste Test mit einem autonomen Containerschiff in dicht befahrenen Gewässern in Japan stattfinden wird. Auf seiner 380 Kilometer langen Route wird das Frachtschiff über einen Kontrollcomputer von Land aus gesteuert. Anders als im Olympia-Kleinbus steht kein Mensch am Ruder. Die ersten Schiffe dieser Art sollen schon 2025 fahren, bis 2040 könnte jedes zweite Schiff autonom in japanischer See schippern.
Hinter dem ehrgeizigen Projekt steht die Nippon Foundation. Die gemeinnützige Stiftung mit dem Schwerpunkt Seefahrt organisiert das Experiment im Februar zusammen mit Japans größtem Frachtschiffunternehmen Nippon Yusen.
An dieser Geschichte erstaunt vor allem, dass sich bisher kein japanisches Start-up-Unternehmen für diesen lukrativen Zukunftsmarkt interessiert hat. Der Rest der Welt hält Nippon für besonders innovativ, was sicher nicht falsch ist. Leider fehlt es an Japanern mit Unternehmergeist, die Neues entwickeln und kommerzialisieren wollen. Beobachter machen dafür die japanische Angst vor dem Scheitern verantwortlich. Andere sehen die starke Regulierung vieler Wirtschaftsbereiche als Ursache dafür, dass sich viele geniale Geschäftsideen erst gar nicht ausprobieren lassen und kleine Unternehmen nicht schnell genug wachsen können.
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Doch irgendetwas muss neulich im Start-up-Bereich passiert sein, das die Umstände für potenzielle Kapitalgeber entscheidend verbessert hat. Jedenfalls gründete Kathy Matsui, die langjährige Aktienstrategin von Goldman Sachs Japan, vor wenigen Monaten zusammen mit zwei Managerinnen den Beteiligungsfonds MPower Partners. Matsui will eine Revolution anzetteln, indem sie Start-ups nach der ersten Aufbauphase mit so viel Kapital ausstattet, dass sie nicht – wie bisher in Japan üblich – schon zu diesem frühen Zeitpunkt an die Börse gehen müssen.
Ein noch stärkeres Signal für einen Wandel der Start-up-Szene sandte Investmentlegende Masayoshi Son aus. Seine beiden Softbank Vision Funds investierten weit über 120 Mrd. Dollar in Tech-Jungunternehmen auf der ganzen Welt, nur eben so gut wie gar nicht in Japan. Doch nun sucht Son erstmals offiziell einen Investmentleiter für seinen Heimatmarkt.
Durch Softbank würde viel mehr Kapital in die Szene fließen und in der Folge der Druck auf die mächtige Ministerialbürokratie wachsen, ihren regulatorischen Zangengriff um die Wirtschaft zu lockern. Vor zwei Jahren hatte Son seine Investitionszurückhaltung damit begründet, dass Japan bei künstlicher Intelligenz „unterentwickelt“ sei. Wenn er jetzt doch Kapital anlegen will, dann muss Japan den Rückstand wohl aufgeholt haben. Darauf würden auch die erfolgreich autonom fahrenden Autos und Schiffe hindeuten.