Notiert inMoskau

Steve Jobs, Hitler und die Ersatzteile

Russische Propagandisten sehnen sich in eine Zeit zurück vor der Erfindung des iPhones. Der Familienzusammenhalt war enger, und die Autos waren leichter zu reparieren.

Steve Jobs, Hitler und die Ersatzteile

Notiert in Moskau

Steve Jobs, Hitler und die Ersatzteile

Von Eduard Steiner

Allzu zimperlich mit fragwürdigen Vergleichen ist die Welt aktuell ja nicht. Insofern reiht sich auch der Vergleich, den der russische Medienmanager Konstantin Ernst dieser Tage geäußert hat, in diesen Reigen immer schlimmerer Geschmacklosigkeiten ein. Bemerkenswert ist der Vorgang zum einen, weil Ernst Chef des staatlichen TV-Senders „Erster Kanal“ und damit ein hochrangiger staatlicher Propagandist ist, der seit März 2022 zudem westlichen Sanktionen unterliegt. Zum anderen, weil er nicht etwa einen westlichen Politiker ins Visier genommen, sondern sich keinen geringeren als Apple-Gründer Steve Jobs vorgeknöpft hat.

Ernst bezeichnete bei einem Auftritt auf dem Symposium „Zukunft schaffen“ das iPhone als „extrem gefährliches Ding“ für die Menschheit. Und sein Gründer, Jobs, sei nicht viel anders als Adolf Hitler. „Bei mir persönlich befindet sich Steven Jobs in einer Reihe von Charakteren, wobei Hitler direkt vor ihm in der Schlange steht“, formulierte er es etwa vertrackt. Ernst erklärte seinen Unmut damit, dass das iPhone dazu geführt habe, dass die Menschen nun Monate oder sogar Jahre nicht zu ihren Eltern fahren würden. Selbst der Umgang mit Freunden sei dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Insgesamt würden Telefonate immer mehr von Textnachrichten ersetzt.

Prinzipielle Verteufelung

Bisher fielen Attacken auf den Westen umso stärker aus, sofern Russland vor diesem Hintergrund eigene Konkurrenzprodukte propagieren konnte. Das ist beim iPhone nicht der Fall. Bleibt also nur die prinzipielle Verteufelung einer westlichen Erfindung, die man selbst sehr wohl verwendet. Auch Ernst und seine Frau besitzen schließlich iPhones. Vor dem Krieg waren rund 70% aller Mobiltelefone in Russland westlicher Herkunft – selbst auf russischen Bauernmärkten wird mit dem Handy bezahlt.

Westliche Ersatzteile fehlen

Apropos westlicher Herkunft: Weil internationale Autoproduzenten sich nach Kriegsbeginn aus Russland zurückgezogen haben und die Lieferung von Original-Ersatzteilen eingestellt wurde, wird es für Russen immer schwieriger, die Fahrzeuge europäischer, amerikanischer oder japanischer Provenienz instand zu halten. Der Anteil der Originalersatzteile ist auf 13,1% gesunken, vermeldetet unlängst das russische Branchenmedium Autonews. Und selbst bei den verbliebenen Originalersatzteilen ist die Qualität fraglich, weil sie aus dunklen Quellen ins Land kommen. Es gibt keine Garantie mehr. Das Risiko, einer Fälschung aufzusitzen, ist also recht hoch.

Hoch ist auch der Preis: Experten berichten, dass sich Ersatzteile aus Europa seit Jahresbeginn um 70% verteuert hätten, die aus Südkorea um 25%. Ohnehin ist die Inflation zum wirtschaftlichen Hauptthema geworden. Die Zentralbank, die den Leitzins im Interesse der Inflationsbekämpfung kürzlich von 19 auf 21% erhöht hat, beziffert die Teuerung auf knapp 10%. Ökonomen gehen eher vom Doppelten aus. Und wer ist schuld an der Teuerung? Konstantin Ernst wird eine Erklärung haben.

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