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Stressfaktor Parcoursup

Das auf undurchsichtigen Algorithmen basierende Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen ist für französische Gymnasiasten inzwischen ein größerer Stressfaktor als das Abitur.

Stressfaktor Parcoursup

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Stressfaktor Parcoursup

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Von Gesche Wüpper

Die Gespräche ähneln sich. Es sind immer dieselben Fragen, die Frankreichs Abiturienten, Studienfachwechsler und ihre Eltern momentan beschäftigen. „Bist du schon irgendwo zugelassen?“ lautet die erste. „Wo bist du auf der Warteliste?“ die zweite. Noch bis zum 12. Juli läuft in Frankreich die zentralisierte Hauptvergabe der Studienplätze für Erstsemester an Universitäten, spezifische Kurzstudiengänge oder für die sogenannten Classes Préparatoires, die Vorbereitungsklassen für elitäre Hochschulen wie die École Polytechnique oder die École Normale Supérieure. Diese haben ihre eigenen Auswahlverfahren. Dafür gibt es für die Studiengänge an den im Vergleich zu diesen Grandes Écoles in Frankreich in der Regel weniger angesehenen Universitäten im Gegensatz zu Deutschland keinen Numerus clausus. Dafür wird dann während der ersten beiden Studienjahre ausgesiebt.

Parcoursup heißt das auf Algorithmen basierende Internetverfahren, das 2018 eingeführt wurde, um die bis dahin geltende hochkomplizierte Verteilungsmethode der Studienplätze zu ersetzen. Durften Abiturienten bis dahin 24 Studienplatzwünsche angeben, sind es inzwischen nur noch zehn. Doch vereinfacht hat sich dadurch nach Ansicht der Betroffenen nichts. Auch die Lehrer könnten ihnen nicht wirklich helfen, bemängeln Abiturienten. Oft könnten sie die Fragen zu dem Auswahlverfahren nicht beantworten. Die Kriterien für die Listen zur Vergabe der freien Plätze seien undurchsichtig, urteilte ein vom Senat letztes Jahr erstellter Bericht zu dem Verfahren.

Das Abitur sei inzwischen als Stressfaktor zweitrangig geworden, meint denn auch Gwenn Thomas-Alves, der Vorsitzende der Schülergewerkschaft Union syndicale lycéenne. Denn der wichtigste Stressfaktor für Abiturienten sei inzwischen Parcoursup. Viele versuchen verzweifelt zu ergründen, mit welcher Strategie sie die besten Chancen für ihren Wunschstudienplatz haben. Kommen erstmal die Benachrichtigungen, für was und wo sie einen Platz bekommen haben, muss schnell gehandelt werden. Dabei gilt es, sich nicht sofort auf alles einzulassen, sondern strategisch vorzugehen.

Ihr Sohn habe einen Platz für ein Jurastudium an der Sorbonne angeboten bekommen, berichtet eine Mutter. Er habe diesen jedoch abgelehnt, weil er lieber Politikwissenschaften an einem der zehn Instituts d’Études Politiques in Frankreich studieren wolle. Zunächst sei er bei seinem Favoriten auf der Rangliste, nach denen die freien Plätze vergeben werden, weit hinten gewesen, dann jedoch immer weiter hochgerutscht.

Parcoursup ist so umstritten, dass es auch im Wahlkampf für die vorgezogenen Neuwahlen eine Rolle spielt. Das Linksbündnis Nouveau Front Populaire verspricht, es abzuschaffen, um den Zugang zu den Universitäten zu demokratisieren. Der rechtsextreme Rassemblement National wiederum verspricht, dem Bac wieder zu seiner alten Würde zu verhelfen und die Studienplätze gemäß den Wünschen der Schüler nach den Abiprüfungen zu vergeben.

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