Tücken globaler Sorgfaltspflichten
Von Stefan Reccius, Frankfurt
Ein Stoppschild für den Import von Produkten aus Zwangsarbeit: Mit dieser Ankündigung ist EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) vorgeprescht. Es wird die handelspolitische Flankierung für ein Vorhaben viel größerer Dimension: Die EU-Kommission feilt an einem Lieferkettengesetz nach deutschem Vorbild, das Unternehmen Sorgfaltspflichten im Umgang mit Menschenrechten und Umweltstandards in ihren weltweiten Lieferketten auferlegt. Die Wirtschaft ist nervös, weil die Pläne deutlich über das im Juni vom Bundestag beschlossene nationale Sorgfaltspflichtengesetz hinausgehen. Doch es ist Geduld gefragt.
Ursprünglich wollte die EU-Kommission im Juni Details präsentieren. Daraus wurde nichts, weil Prüfer intern Bedenken anmeldeten. Angedacht ist nun der 27. Oktober. Nach Informationen der Börsen-Zeitung steht aber auch dieser Termin auf der Kippe. Erst im Dezember soll es nun so weit sein. Während für deutsche Unternehmen die Uhr tickt, um ab Januar 2023 die neuen Regeln umzusetzen, läuft hinter den Brüsseler Kulissen die nächste Lobbyschlacht.
Grund für die Verzögerung ist zum einen, dass es offenbar in der Abstimmung zwischen den federführenden Ressorts von Justizkommissar Didier Reynders und Binnenmarktkommissar Thierry Breton hakt. Strittig sind das Ausmaß von Sorgfaltspflichten und die Einbindung in bestehende Regelungen zur Corporate Social Responsibility (CSR). Hauptproblem sei die Frage, wie die Sorgfaltspflichten ins Unternehmensrecht eingebunden werden können, ist zu hören.
Auf Trab hält die Kommission auch die schiere Masse an Eingaben von Interessengruppen. Die Rede ist von um die 1000 „fundierten Beiträgen“. Eine Verschiebung in den Dezember scheint inzwischen unausweichlich, auch wenn die EU-Kommission sich auf Anfrage bedeckt hält. Im Brüsseler Sprech klingt das dann so: Es sei wichtig, dass „die verschiedenen Aspekte berücksichtigt werden und ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Ansichten der Beteiligten hergestellt wird“. Das Unbehagen vieler Unternehmen rührt wohl auch daher, dass das Thema Nachhaltigkeit und somit der Schutz der Menschenrechte bislang primär eine freiwillige Sache war und politischer Druck überschaubar, wie eine Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft aus dem vergangenen Jahr zeigt (siehe Grafik).
Wunsch nach schwarzer Liste
Die Lage sei „hochkomplex“, heißt es in Brüssel. So hat sich der Maschinenbauverband VDMA den Vorschlag von Experten des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) für eine Negativliste zu eigen gemacht. Es handelt sich um eine von einer Behörde zu führende schwarze Liste von Unternehmen, „mit denen aufgrund von Bedenken bezüglich Menschenrechten oder Umweltstandards keine Handelsbeziehungen bestehen dürfen“, wie es in einem Gutachten des IfW im Auftrag des VDMA heißt. Das solle „Kern eines Sorgfaltspflichtengesetzes auf europäischer Ebene“ werden. Es sieht allerdings nicht so aus, dass es so kommt. „Das ist überhaupt nicht diskutiert worden“, gibt Anna Cavazzini, handelspolitische Sprecherin der Grünen im EU-Parlament, einen Einblick in die Beratungen. „Das Ziel ist nicht, dass Unternehmen Zulieferer boykottieren oder die Zusammenarbeit beenden, sondern wir wollen eine Verhaltensänderung bewirken.“ Der Industrieverband BDI setzt hingegen auf eine Positivliste mit menschenrechtlich einwandfreien Ländern. Beides hat im deutschen Lieferkettengesetz keine Berücksichtigung gefunden.
Auch die Interessen von Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen lassen sich schwerlich in Deckung bringen. Erfolgreich haben Mittelständler und Familienunternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitern bei Union und SPD dafür geworben, vom Lieferkettengesetz ausgenommen zu werden. Die Gutachter des IfW führen dafür gute Gründe an: Konzerne könnten durch Synergieeffekte in weit verzweigten Produktionsnetzwerken Kosten drücken. „Kleinere Unternehmen können jedoch nicht auf eine Organisationsstruktur zurückgreifen, die darauf zugeschnitten ist, die vielen nichtfinanziellen Verpflichtungen, die das Gesetz auferlegt, ohne erhebliche Kosten zu erfüllen“, heißt es im Kurzgutachten. Laut Schätzungen der Bundesregierung kommen auf die circa 2200 betroffenen Unternehmen jährliche Kosten von insgesamt 43,5 Mill. Euro zu, dazu ein einmaliger Erfüllungsaufwand von 109,7 Mill. Euro. IfW und VDMA zufolge wird es teurer – etwa wegen Zertifizierungsaudits und neuen IT-Tools.
Viele Mittelständler treibt die Sorge um, dass große Unternehmen die Sorgfaltspflichten auf sie abwälzen – und sie somit de facto doch stark betroffen sind. Geht es nach Binnenmarktkommissar Breton und einer Mehrheit des EU-Parlaments, ist es mit Ausnahmen für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) bald ohnehin vorbei. Dafür sprechen sich nicht nur übliche Verdächtige wie Menschenrechtsaktivisten aus. Auch mancher Konzern wie der schwedische Mobilfunkriese Ericsson dringen darauf, sämtliche KMU und Zulieferer auf allen Stufen der Wertschöpfung in die Pflicht zu nehmen. Ohne ihr Zutun sei es schlicht nicht möglich, die gesamte Lieferkette zu überblicken, sagt Ericssons Experte für Unternehmensverantwortung, Théo Jaekel. Außerdem könne es nur so gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle geben. Die Fronten verlaufen also zum Teil quer durch die Wirtschaft. Für die EU-Kommission macht es das nicht einfacher.