Überbewertete Krokodilsträne
Alles wird teurer. Wenn normale Leute das beklagen, dann meinen sie damit die Preise von Benzin, Heizöl, Gebrauchtwagen oder Lebensmitteln – und vor allem die Miete. Wenn aber Finanzinvestoren davon sprechen, dann meinen sie die Bewertungen bei Unternehmensbeteiligungen. Als Auslöser wird in beiden Fällen zunehmend das billige Notenbankgeld gesehen. Auf der Konferenz „Superreturn“ in Berlin, dem alljährlichen Stelldichein der Private-Equity-Investoren aus aller Welt, schimpfte jetzt Scott Kleinman, Co-President beim Branchenriesen Apollo, dass die rekordtiefen Zinssätze einen „kollektiven Wahnzustand“ bei Unternehmensbewertungen verursachten. „Nahezu Nullzinsen“ hätten „eine ganze Reihe unbeabsichtigter Folgen“ und führten dazu, dass die Bewertungsmultiplikatoren „unglaublich dramatisch“ ansteigen. In 20 Jahren werde man fragen: „Was haben wir uns nur dabei gedacht?“
Man muss die Krokodilstränen nicht so ernst nehmen. Schließlich profitieren Finanzinvestoren selbst von den hohen Bewertungen. Das Vermögensvolumen, das von ihnen abseits der Börsen als „Private Capital“ in Beteiligungen (Private Equity), Wachstumsunternehmen (Growth Equity) und Wagniskapital (Venture Capital) sowie Direktkrediten und Immobilien verwaltet wird, ist auf 8 Bill. Dollar angewachsen und steht so für 7 % aller Assets under Management. Die Private-Equity-Manager kassieren gewöhnlich eine nicht erfolgsabhängige Verwaltungsgebühr von 1,5 % und eine Gewinnbeteiligung (Carried Interest) von meist 20 %. So kommt es, dass sie (auch ganz persönlich) bestens verdienen an den viel beklagten hohen Unternehmensbewertungen. Die Aktienkurse von Spielern wie Apollo, Blackstone, KKR oder EQT sind allesamt im laufenden Jahr zwischen 50 und mehr als 100 % angestiegen.
Die Treiber für das immense Wachstum von Private Capital sind weiter intakt. Vor allem die Überrendite im Vergleich zum Investment in Wertpapiere an den öffentlichen Märkten lockt die Investoren (Limited Partner) der Private-Equity-Häuser. Die Investmentbank Morgan Stanley beziffert den Renditevorteil von Private Equity gegenüber Public Equity in den vergangenen 20 Jahren auf durchschnittlich 5 Prozentpunkte. Jetzt öffnet sich die Asset-Klasse mit neuen und liquideren Produkten auch für Privatanleger. Vor allem Millionäre und Milliardäre sind dabei, den Anteil ihres Vermögens, der in Private Capital fließt, auf 10 % zu verdoppeln. Um die hohen Zuflüsse überhaupt und zugleich immer schneller investieren zu können, weiten die Private-Equity-Häuser die Deals immer stärker auf Growth Equity und Venture Capital aus. Neben den Wohlhabenden erschließen sie zunehmend auch Versicherer als Kunden. Apollo hat gleich den ganzen Versicherungskonzern Athene gekauft.
Mit dem Private Capital wandert ganz nebenbei ein immer größerer Teil der Wirtschaft in den Schatten ab: Wie verteilen sich die Eigentümeranteile bei Thyssenkrupp Aufzüge, einem Unternehmen mit 50000 Beschäftigten? Das bleibt das Geheimnis der Finanzinvestoren. Wie wird die Gewinnbeteiligung der Private-Equity-Manager besteuert – als Kapitalertrag oder als Einkommen? Das hängt vom Bundesland ab – mehr wird nicht verraten.
Kern des Erfolgs von Private Equity ist der Renditevorteil. Davon werden die Finanzinvestoren zwar bald einen Teil einbüßen. Noch liegt die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen, an der sich alle messen, bei nur 1,5 %. Eine Verdoppelung auf 3 % wird angesichts der Inflation mit darauf folgenden Zinserhöhungen für 2022 „befürchtet“. In den Jahren 2017/18 verdoppelten sich die Anleiherenditen schon einmal auf 3 %. Auch damals wuchsen die Assets under Management munter weiter. Den Private-Equity-Häusern muss also nicht bange sein. Brechen die Bewertungen ein – was im Tech-Bereich schon punktuell beginnt –, dann fällt zwar die Gewinnbeteiligung beim schwieriger werdenden Exit kleiner aus oder ganz weg, aber es bleiben die sicher fließenden Verwaltungsgebühren. Mehr Sorgen müssen sich ihre Investoren machen. Sie bleiben auf Verlusten sitzen, wenn die Unternehmensbeteiligungen an Wert verlieren. Noch vor wenigen Jahren wurde für Firmen typischerweise das Sechsfache vom operativen Gewinn (Ebitda) gezahlt. Jetzt ist es das Zwölffache. Die Verschuldung hat sich auf das 5,5-Fache des operativen Gewinns erhöht. Und die Kreditverträge sind meist mit keinerlei Vorgaben für Finanzkennzahlen verbunden („Covenant Light“). Kommt es infolge der Inflation zu kräftigen Zinserhöhungen, dann wird es ungemütlich.
(Börsen-Zeitung,