United Colors of Bembeltown
„Wenn man meine Gänsehaut filmen könnte im Close-up, dann würde man sehen, die sind so groß wie Erbsen, die Pünktchen, die ich da habe.“ Peter Fischer, Hessens Antwort auf Bruce Springsteen, hat sich schon vor dem Halbfinal-Rückspiel seiner Eintracht gegen West Ham United wieder einmal als Tribünen-Poet präsentiert. Und auch nach dem Einzug der SGE ins Europa-League-Finale sprach der Eintracht-Präsident mit der rauchigen Stimme in Mikrofone, als habe er nicht das Sakko des Vereinschefs an, sondern die Kutte der Ultras in der Kurve: „Bei Hinti habe ich ein bisschen gezittert, weil er unser Abwehrmonster ist. Aber das 1:0 hat beruhigt. Und danach haben wir das abgewichst gespielt. Jetzt holen wir das Ding.“
Für jene, die sich nicht so arg für Fußball interessieren: „Hinti“ ist der Verteidiger Martin Hinteregger, der nach vier Minuten verletzt raus musste. Und „das Ding“ ist der Silberpokal der Europa League – also die Belohnung für die Eintracht, falls sie in zwei Wochen die Glasgow Rangers bezwingt.
Franz Beckenbauer hat den (damals noch als Uefa-Pokal firmierenden) Europa-League-Pokal einst als „Cup der Verlierer“ bezeichnet. Die Eintracht hingegen zelebriert die Euro-League wie keine andere Mannschaft. 12000 Frankfurter waren einst beim Auswärtsspiel in Bordeaux. Mehr als doppelt so viele haben jüngst das Camp Nou in Barcelona in ein zweites Waldstadion verwandelt. Und nicht nur das: Keineswegs zufällig beginnt die Hymne der Fans, die sie bei Heimspielen anstimmen: „Im Herzen von Europa liegt mein Frankfurt am Main.“
Frankfurt ist Europastadt und die Eintracht ist Europaverein. Seit Jahren feiert sich der Klub dafür, dass er so viele Nationen vereint. „We are so good together“, hieß das Motto in einem Imagespot, in dem sich die Spieler anhand ihrer Nationalität und Konfession präsentierten. (Ersatztorwart Heinz Lindner war damals übrigens derjenige, der im Video am schwersten zu verstehen war – er ist Österreicher). Noch ein paar Jahre länger zurück liegt eine Kampagne gegen Rassismus, die ebenfalls auf die Vielfalt der Teammitglieder und Fans abstellt: „United Colors of Bembeltown“.
Dass die Frankfurter Eintracht also viel dafür tut, ihr Image als international und weltoffen mit Leben zu füllen und Europa zu feiern (Peter Fischer hat sich sehr aktiv für „Pulse of Europe“ engagiert und positioniert sich mit klaren Statements an die Adresse der Rechtsparteien gegen jede Deutschtümelei), ist ein wichtiger Mosaikstein, um zu verstehen, warum in den vergangenen Tagen ein bloßes Fußballspiel für so viel Euphorie in der Stadt gesorgt hat. So viel Euphorie, dass der Hessische Rundfunk seine Hauptnachrichten zur vollen Stunde am Donnerstagnachmittag damit eröffnete, auf das bevorstehende Match hinzuweisen – als wäre es das Wichtigste auf der Welt. Dass anschließend die Mannschaft, die zuletzt gegen den SC Freiburg und Union Berlin verloren hat, tatsächlich auch das zweite Halbfinal-Spiel gewinnen konnte, haben wegen des großen Buheis dann selbst diejenigen in der Stadt mitbekommen, die West Ham für eine britische Imbisskette halten.