US-Börsenaufsicht geht den richtigen Schritt zur falschen Zeit
US-Marktreform
Der richtige Schritt zur falschen Zeit
Die US-Börsenaufsicht SEC rudert beim nächsten großen Reformvorhaben zurück und signalisiert damit Schwäche.
Von Alex Wehnert
Die an der Wall Street mit Spannung erwartete Marktstrukturreform der Börsenaufsicht SEC bringt einen tiefen Einschnitt im US-Aktienhandel mit sich – und droht dennoch zum Sturm im Wasserglas zu werden. Denn gegenüber ihren 2022 vorgestellten Entwürfen hat die Behörde mit dem am Mittwoch übernommenen Regelwerk massiv zurückgerudert. Vorschläge zur Einführung eines Auktionssystems für Einzelorders im Aktienhandel, durch die es der Praxis des Payment for Orderflow an den Kragen gegangen wäre, schiebt sie nach Gegenwind aus dem Markt auf die lange Bank. Und die kontroversesten Teile eines Vorhabens zur Überarbeitung der Tickgrößen, in denen Aktien notieren, lässt der Regulator fallen. Damit geht die SEC einen vernünftigen Schritt – doch sie geht ihn in einem aufgeheizten politischen Umfeld zur falschen Zeit.
Geschäftsmodelle in Gefahr
Die Bedenken aus dem Markt sind dabei ernst zu nehmen. Broker wie Robinhood fürchten bei Umsetzung des Einzelorder-Wettbewerbs eine Erosion ihrer Geschäftsmodelle, können sie den gebührenfreien Handel bisher doch deshalb anbieten, weil sie sich über Rückvergütungen für das Routing von Trades finanzieren. Auch abseits des Arguments, gemäß dem Broker entgangene Einnahmen durch höhere Gebühren für Kunden kompensieren müssten, gab es ausreichend Punkte, die gegen die Reformpläne der SEC sprachen. Allein dass die Aufsicht gleichzeitig zahlreiche weitere Neuerungen wie ein Rahmenwerk für die Qualität der Orderausführung durch Broker plante, beinhaltete die Gefahr, die Marktteilnehmer zu überfordern und damit systemische Verwerfungen auszulösen.
Die Reformen fallen nun indes weit weniger umfangreich aus. Der tiefe Einschnitt im Aktienhandel besteht in einer Änderung der Tickgröße – statt in Penny-Schritten sollen Dividendentitel ab November 2025 in Abstufungen von einem halben Cent notieren können. Für Einzelinvestoren dürften niedrigere Geld-Brief-Spannen hohe Einsparungen mit sich bringen – für Banken und Hedgefonds mit Hochfrequenz-Strategien, die Preisineffizienzen bislang zu ihrem Vorteil nutzen, droht die Änderung hingegen schmerzhaft zu werden.
Doch auch für sie hätte es weit schlimmer kommen können: Ursprünglich plante SEC-Chef Gary Gensler ein System, in dem Aktien je nach Trading-Aktivität in Abstufungen von einem Zehntel, einem Fünftel und der Hälfte eines Penny sowie in einem vollen Cent hätten notieren können. Das Geschrei der Trading-Firmen war damals groß: Zu komplex seien die Pläne, zu große Preisschwankungen bei Aktien könnten sie nach sich ziehen. Nach dem Lärm hat die Börsenaufsicht nun also einmal mehr eingelenkt – wie schon bei einst ambitionierten Plänen zu Offenlegungspflichten für Private Funds oder zum Klima-Reporting.
Mit ihrem Vorgehen, in dessen Zuge die SEC den Markt wiederholt vor den Kopf stößt, um dann nach Gegenwind oder sogar Gerichtsurteilen einzulenken, signalisieren die Behörde und ihr Chef Gary Gensler Schwäche. Dabei bewegen sie sich in einem Umfeld, in dem auch andere Regulatoren wie die Fed bei Reformplänen unter dem Druck der Finanzbranche und republikanischer Vertreter im Kongress einknicken. Damit sehen sich die Vertreter des Sektors ermutigt, gegen jedwede Neuregelungen Sturm zu laufen. Die Nasdaq zeigt sich beispielsweise auf Zinne, weil mit der Reduktion der Tickgrößen auch eine Verringerung der Höchstgebühren, die Börsen für die Ausführung von Trades verlangen können, einhergehen soll.
Regulatorisches Erbe löst sich auf
Die SEC hätte unter Gensler besser daran getan, ihre maximal konfrontativen Vorschläge für die Überarbeitung vieler Finanzmarktsegmente vor der Vorlage besser zu überdenken. Nun hat sie Broker, Börsen, Banken und Private Funds daran gewöhnt, dass sie letztlich bekommen, was sie wollen. Genslers letzte Chancen, sein regulatorisches Erbe zu stärken, drohen damit zu versickern. Dass er Pläne für ein Einzelorder-Auktionssystem noch vor der Wahl im November durchgedrückt bekommt, gilt beispielsweise als unwahrscheinlich. Und nach einem politischen Machtwechsel in Washington könnte er sein Mandat als Chef der Börsenaufsicht schnell los sein – und dann für jahrelange Bemühungen lediglich einen Sturm im Wasserglas vorzuweisen haben.