Japans Währung

Verlorene Zauberkraft

Die Yen-Krise ist weitgehend hausgemacht, da die ultralockere Geldpolitik auf eine Schwächung der japanischen Währung abzielt.

Verlorene Zauberkraft

Wer ein verletztes Bein hat, braucht eine Krücke zum Gehen. Doch wer sich zu lange darauf stützt, dem schwinden die Beinmuskeln. Auf die Krücke kann man dann nicht mehr verzichten. So beschreibt der Ökonom Richard Katz das Verhältnis zwischen Japan und dem schwachen Yen. Nun wird die Krücke selbst zum Problem. Vor wenigen Tagen fiel die japanische Währung auf ein 20-Jahres-Tief zum Dollar. Die Kaufkraft der Währung schrumpfte sogar auf den niedrigsten Stand seit fünfzig Jahren. Was einst als Segen wirken sollte, wird damit zur Qual: Infolge der hohen Importquoten bei Nahrungsmitteln und Rohstoffen leiden japanische Unternehmen und Verbraucher nicht nur unter den anziehenden Preisen von Rohstoffen und Waren im Ausland, sondern zusätzlich unter dem verschlechterten Wechselkurs.

Diese Währungskrise ist weitgehend hausgemacht. Nach offizieller Lesart lockerte die Bank of Japan ab 2013 ihre Geldpolitik extremer als jede andere Notenbank, um die Deflation zu bekämpfen. In Wirklichkeit wollte Gouverneur Haruhiko Kuroda vor allem die eigene Währung schwächen, um japanische Exporte wettbewerbsfähiger zu machen und die Gewinne der Exportindustrie zu erhöhen. Die Strategie war anfangs durchaus erfolgreich: Der Yen wertete binnen zwei Jahren um die Hälfte ab. In der gleichen Zeit verdoppelte sich der Aktienindex Nikkei 225. Anschließend stabilisierten sich Währung und Aktienkurse, als die Notenbanken in den USA und Europa ebenfalls ihre Zinsen herunterfuhren.

Eine unbeachtete Kehrseite der japanischen Geldpolitik bestand darin, dass die Verbraucher die steigenden Unternehmensgewinne indirekt über die erhöhten Importpreise mitfinanzierten. Auch verdeckte der positive Effekt der schwachen Währung das geringe Wachstum der Produktivität in Japan, was sich wiederum in minimalen Lohnzuwächsen widerspiegelte. Diese Zusammenhänge sind erst offen zutage getreten, seitdem die US-Notenbank ihre Zinsen erhöht. Der steigende Renditeabstand zwischen japanischen und US-Staatsanleihen drückt den Wert der japanischen Währung. Doch ihre Abwertung nutzt der japanischen Wirtschaft nicht mehr so viel wie früher. Finanzinvestoren wie Softbank Group profitieren, weil der Wert ihrer in Dollar nominierten Vermögen in Yen gerechnet zunimmt. Aber viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren nicht unbeträchtliche Teile ihrer Produktion und ihrer Lieferketten ins Ausland verlagert. Toyota zum Beispiel fertigt rund 70% ihrer Fahrzeuge im Ausland. Der schwache Yen habe seine Zauberkraft verloren, brachte die Wirtschaftszeitung „Nikkei“ diese Entwicklung auf den Punkt.

Dadurch sind die Bank of Japan und die Regierung in eine Zwickmühle geraten. Einerseits dämpft die durch den schwachen Yen angeheizte Inflation die Konsumlust der Japaner, was das Binnenwachstum schwächt. Andererseits kann sich Japan höhere Zinsen nicht leisten. Der aktuelle Staatshaushalt wird zu rund einem Drittel mit neuen Anleihen finanziert. Gleichzeitig halten sich viele kleine und mittlere Unternehmen nur durch vom Staat garantierte Billigkredite über Wasser. Premier Fumio Kishida will die Oberhauswahl im Juli gewinnen und reagiert daher auf die steigenden Preise mit Subventionen, die der Staat wiederum auf Kredit finanzieren muss. Denn höhere Zinsen würden viele Haushalte über ihre oft variabel verzinsten Hypothekenkredite noch härter treffen als die Inflationsrate von aktuell 2%.

Auch macht der schwache Yen japanische Assets extrem attraktiv für ausländische Investoren. Mit ihrer Forderung nach höheren Renditen könnten sie jene Steigerungen der Produktivität erzwingen, die japanische Firmen aus eigener Kraft bisher nicht geschafft haben. Die weiche Währung verstärkt auch den Trend, vermehrt im Inland zu produzieren, was japanische Verbraucher auf der Preisseite entlastet und japanische Exporte begünstigt. Zugleich wird Nippon für Touristen, die sich vor der Pandemie zum wichtigen Standbein der Binnenwirtschaft entwickelten, attraktiver. Wegen des Preisdrucks setzt die Regierung außerdem stärker auf erneuerbare Energien und Atomkraft, um die Abhängigkeit von teuren fossilen Brennstoffen zu verringern.

Bei aller Kritik an Premier Kishida und Gouverneur Kuroda sollte man auch nicht übersehen, dass die Trends am Devisenmarkt schnell drehen können. Insofern handeln die Verantwortlichen weniger unverantwortlich, als es der erste Anschein vermuten lässt.

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