Vertrauensmalus
Es war die Rache des Kleinaktionärs, die Bayer am Freitag in der dritten virtuellen Hauptversammlung zu spüren bekam. 665 Fragen hatten die Aktionäre schriftlich eingereicht, davon 400 wenige Minuten vor Ablauf der Frist. Zum Vergleich: In der ersten virtuellen Veranstaltung 2020 waren es 245 Fragen. Mehr als acht Stunden nahm sich die Verwaltung für die Beantwortung Zeit, spielte Videobotschaften ein und ließ überdies Nachfragen zu. Und dennoch ist es Bayer auch vier Jahre nach der folgenschweren Übernahme von Monsanto nicht gelungen, das Vertrauen der Anteilseigner zurückzugewinnen.
Das Verhalten der opponierenden Kleinaktionäre sollte dabei zwar nicht als Gradmesser herangezogen werden, übte sich dieser Kreis an Aktionären doch schon lange vor 2018 in Frontalopposition. Aufhorchen lässt vielmehr, dass der Vergütungsbericht, welcher der Hauptversammlung in diesem Jahr erstmals zur Billigung vorgelegt wurde, in Bausch und Bogen verworfen wurde. Mehr als drei Viertel der Aktionäre lehnten den Bericht ab. Nun mag man dieses Abstimmungsergebnis als Petitesse abtun, zumal es keinerlei materielle Folgen hat. Auf die leichte Schulter sollte das Votum aber in keinem Fall genommen werden. Denn es zeigt, dass im Aktionärskreis auch vier Jahre nach der verhängnisvollen Großakquisition der Rückhalt fehlt. Zusammen mit dem schwachen Entlastungsergebnis für Vorstand und Aufsichtsrat – jeweils knapp ein Fünftel der Aktionäre senkte bei diesen Tagesordnungspunkten den Daumen – zeigt sich das wahre Ausmaß der Unzufriedenheit. Nachdem dem Vorstand 2019 die Entlastung verweigert worden war, hatte die Führungsspitze in den beiden Folgejahren zumindest wieder mehr als 90% der Aktionäre hinter sich gebracht. Insofern ist der diesjährige Entlastungsbeschluss auch als Warnschuss zu verstehen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die mächtigen US-Stimmrechtsberater ungeachtet der erteilten Entlastungsempfehlung Verständnis für eine abweichende Einschätzung durchblicken ließen und einzig die Billigung des Vergütungsberichts ablehnten. Stein des Anstoßes waren die kurzfristigen Bonuszahlungen, die trotz milliardenschwerer Vergleichszahlungen gewährt wurden. Dabei hatte der seit 2020 amtierende Aufsichtsratsvorsitzende Norbert Winkeljohann eine Charmeoffensive gestartet und war Ende vorigen Jahres bei etwa 40% des Aktionariats vorstellig geworden. Obendrein war im Frühjahr 2021 eine Studie durchgeführt worden, um herauszufinden, welches Bild die Anteilseigner von den Bayer-Gremien haben. Dass die Wahrnehmung der Investoren womöglich eine andere ist als die des Aufsichtsrats, scheint auf der Hand zu liegen. Nicht ohne Grund dürfte Bayer das Ergebnis der Perception Study unter Verschluss halten.
Natürlich ist Winkeljohann zuzustimmen, wenn er den Aktionären widersprüchliches Verhalten vorwirft. Hatten sie das Vergütungssystem 2020 doch mit einer breiten Mehrheit (94%) angenommen. Zu hinterfragen ist allerdings, warum jenseits des Umsatzes alle zur Bemessung herangezogenen Kennziffern in ihrer bereinigten Form verwendet werden. Denn damit werden auch die Vergleichszahlungen, die Folge vorangegangener Managemententscheidungen sind, ausgeklammert. Das zur Rechtfertigung bemühte Argument, der Bonus würde sonst auch steigen, wenn Verkaufserlöse das Ergebnis aufhübschten, verfängt nicht. Schon gar nicht, wenn der freie Cashflow als geeignet gilt, weil er Auskunft über das zur Verteilung an die Aktionäre zur Verfügung stehende Geld gibt. Mit der Bereinigung um Auszahlungen ist die Aussagekraft nämlich dahin.
Immerhin ist es Bayer inzwischen gelungen, die Rechtsrisiken aus der Monsanto-Übernahme bilanziell zu verdauen. Ob das nach vorne geblickt jedoch ausreicht, um das Vertrauen der Aktionäre zurückzugewinnen, ist mit einem dicken Fragezeichen zu versehen. Denn die Rufe nach der Aufspaltung des Konglomerats sind seit der Übernahme von Monsanto ja keineswegs verstummt. Hatte die Glyphosat-Klagewelle samt ihren der Höhe nach unkalkulierbaren Kosten in den letzten Jahren wie eine Giftpille gegen feindliche Attacken gewirkt, dürfte dieser Schutzschild allmählich seine Wirkung verlieren. Die Frage nach einer Aufspaltung stelle sich nicht, wiegelte Bayer-Chef Werner Baumann entsprechende Aktionärsfragen ab, sei damit doch keine Wertsteigerung verbunden. Dass Vorstand und Aufsichtsrat zu dieser Frage bereits Gutachten anfertigen ließen, spricht allerdings eine andere Sprache. (Börsen–Zeitung,