Vertriebsvielfalt ist für Baumarktketten der Erfolgsschlüssel
Von Martin Dunzendorfer,
Frankfurt
Baumarktbetreiber können es nicht länger aussitzen: Zum ersten Mal seit vielen Jahren kommt es zu spürbaren Erhöhungen der Verkaufspreise. Grund sind die Angebotsverknappungen in Teilen des Sortiments, die zu steigenden Beschaffungspreisen führen. Verschärft wird der Preisdruck durch eine hohe Nachfrage von Wettbewerbern in Asien und Nordamerika, steigende Logistikkosten und eine Inflation, die in Deutschland zuletzt über 4% lag. Die Zeit der Sonderangebote und Rabattaktionen mag aufgrund des harten Wettbewerbs nicht vorbei sein, aber es wird sie seltener und nur auf sorgsam ausgewählte Produkte geben. Der normale Baumarktkunde aber, der eine bestimmte Schraube braucht, eine Gartenlampe erwerben möchte bzw. nach einer Bohrmaschine oder einem Hochdruckreiniger sucht, wird sich in den nächsten Monaten vor dem Regal stehend zu Recht fragen, ob die Ware denn früher nicht billiger war.
Obgleich manche Kunden größere Projekte aufgrund von Materialengpässen und gestiegenen Preisen zurückstellen dürften, sprechen doch einige Faktoren zumindest für stabile Umsätze. So hat sich die Einstellung vieler Menschen zum Zuhause infolge der Coronakrise gewandelt. Lockdowns und Homeoffice-Tätigkeit haben dazu geführt, dass wesentlich mehr Zeit zu Hause verbracht wurde. Daher macht man sich mehr Gedanken über wünschenswerte bis notwendige Ausbesserungen und Verschönerungen von Haus, Wohnung, Garten, Balkon oder Terrasse. Dafür wird dann auch mehr Geld ausgegeben als in der Vor-Pandemie-Zeit. Zwar nehmen die Außer-Haus-Aufenthalte (Einkehr in Restaurants, Besuche von Theater- und Musikveranstaltungen, Reisen etc.) seit dem Sommer wieder zu, doch wird es auch langfristig keine Rückkehr zum Prä-Corona-Status geben. Das gestiegene Interesse an einem gemütlichen und intakten Zuhause wird bleiben.
Spott vom Hornbach-Chef
„Offensichtlich missverstehen einige den bestehenden Trend als eine Art Beschäftigungstherapie beschränkt auf Lockdown-Phasen, wenn es nicht anderes zu tun gibt“, sagte jüngst Albrecht Hornbach, Vorstandschef der Hornbach Management AG, die auch die gleichnamige Baumarktkette kontrolliert. Er übte damit Kritik an Einschätzungen vieler Branchenexperten, die angesichts des außerordentlichen Umsatzwachstums in der gesamten Do-it-yourself-Branche im vergangenen Jahr von einer „Ausnahmesituation“ sprechen bzw. von einem Trend zum DIY, der nachlassen dürfte, sobald Reisen und andere Freizeitaktivitäten wieder möglich seien.
Hornbach fällt der Spott leicht; die Nummer 4 unter den Baumarktketten Deutschlands – hinter Obi, Bauhaus und Toom – hat sich 2020 und im laufenden Jahr dramatisch besser entwickelt als der Branchendurchschnitt. Während die einzige deutsche Baumarktkette, die an der Börse notiert ist, im ersten Halbjahr eine Umsatzeinbuße von lediglich 2,4% verbuchte, berichtete der Handelsverband Heimwerken, Bauen und Garten (BHB) von einem Erlöseinbruch im Vergleich zur Vorjahresperiode von 15,2%.
BHB-Hauptgeschäftsführer Peter Wüst begründete dies mit den Belastungen durch die „langwierigen Lockdown-Beschränkungen des stationären Geschäftes besonders im ersten Quartal“ sowie der „ausgesprochen ungünstigen Wetterentwicklung“. Der kalte und verregnete Frühsommer habe die Lust auf Garten- und Außenrenovierungsaktivitäten deutlich eingedämmt. Von all diesen Belastungen war Hornbach gleichermaßen betroffen, dennoch schnitt der Filialist bei den Erlösen um unglaubliche 13 Prozentpunkte besser ab als der Wettbewerb. Wie kann das sein?
Kern der starken Outperformance dürfte die vor Jahren auf den Weg gebrachte Digitalisierung von Hornbach sein. Diese hat viel Geld verschlungen – Ende Mai schätzte Albrecht Hornbach die Investitionen auf insgesamt 500 Mill. Euro –, doch der Kapitaleinsatz macht sich bezahlt. Schon vor der Pandemie reüssierte das Online-Geschäft, in der Coronakrise ging es dann richtig ab: 2020/21 (28. Februar) verdoppelten sich die mit dem Webshop von Hornbach in Verbindung stehenden Erlöse im Vergleich zum vorherigen Geschäftsjahr auf 852 Mill. Euro und trugen 16,7 (i.V. 9,6)% zum Umsatz der Baumarktkette bei; im ersten Halbjahr 2021/22 (31.August) sprangen die Online-Erlöse um 48% auf 593 Mill. Euro; der Anteil am Gesamtumsatz betrug damit 19,2%. Die Nachfrage nach DIY-Sortimenten „blieb auch in den Sommermonaten unverändert hoch, obwohl das Wetter sehr unbeständig war und die Verbraucher wieder deutlich mehr verreisten“, berichtete Hornbach.
Das Management des SDax-Unternehmens führt die Outperformance auf die Möglichkeit zum „Interconnected Retail“ zurück – verschiedene Varianten, die Online- und stationären Handel miteinander verknüpfen. Süffisant sprach Hornbach mit Blick auf die Konkurrenz davon, dass die einzelnen Wettbewerber dazu „sehr unterschiedlich“ in der Lage seien.
Online, offline oder divers
Tatsächlich gibt es diverse Varianten, etwa online bestellen und bringen lassen – also reines E-Commerce, ohne dass der Markt besucht wird – sowie online reservieren und selbst abholen. Das sind die beiden meistgenutzten Spielarten. Eine dritte Variante, die am wenigsten eindeutig dem Online- oder dem stationären Geschäft zugeschrieben werden kann, ist die Waren- und Informationssuche im Netz, auf die ein Besuch im Markt folgt, wo der Kunde – gestützt auf den vorherigen Auswahlprozess – entweder sich für ein Produkt aus einer vorher stark eingegrenzten Gruppe entscheidet oder ein bestimmtes Produkt gezielt kauft.
Prognosen darüber, wie sich die Vertriebsvarianten entwickeln werden, sind kaum möglich, da die Umsatzverteilung in den vergangenen 20 Monaten maßgeblich durch die Pandemie und ihre Folgen bestimmt wurde. Lieferungen an die Haustür dürften bei großformatigen und schweren Waren auch künftig Hochkonjunktur haben. Doch siegt die Bequemlichkeit, z.B. einen Elektrogrill über den Bildschirm auszuwählen, zu bestellen und nach Hause kommen zu lassen, über das Fehlen der physischen Inaugenscheinnahme beim Kauf und das haptische Erlebnis, also das Produkt im Markt anfassen zu können? Welche Rolle spielen Versandkosten? Folgt nach ausgestandener Krise eine Phase, in der die Menschen besonders stark den öffentlichen Raum suchen? Niemand kennt die Antwort.
Daher gilt für Baumarktbetreiber – wie im Grunde für den gesamten Einzelhandel –, dass man für alle Vertriebsvarianten gewappnet bleiben muss. Dazu gehören ein leistungsfähiger Webshop, verlässliche Zustelldienste und ein ausgereiftes Warenabholsystem, aber auch große Filialen, da der Wunsch der Kunden nach genügend Platz durch die Pandemie sicher noch zugenommen hat.