Vor dem Libor-Ende wird die Zeit knapp
Vor der Einstellung der London Interbank Offered Rate (Libor) wird die Zeit für Marktteilnehmer knapp. Am 30. Juni soll die tägliche Publikation der Dollar-Variante des Referenzzinses enden und damit der entscheidende Schritt weg von der skandalumwobenen Benchmark gelingen. Doch die Umstellungspläne und die Marktrealität prallen derzeit aufeinander. So stehen noch immer große Volumina an Libor-gekoppelten Finanzinstrumenten aus, die nicht vor Ende des zweiten Quartals des laufenden Jahres fällig werden. Insbesondere US-Ramschkredite hängen noch in Masse am alten Interbanken-Referenzsatz fest – Ende Februar belief sich der Gegenwert laut Marktteilnehmern noch auf mehr als 1 Bill. Dollar.
Das Problem dabei ist simpel: Eine Umstellung gerade von Hochzinskrediten auf den Libor-Nachfolgesatz Secured Overnight Financing Rate (Sofr) ist für Gläubiger zu den aktuellen Konditionen nicht attraktiv genug. Die populärste noch publizierte Libor-Variante, der Drei-Monats-Dollar-Satz, lag am Dienstag bei 5,02%. Die von der Fed von New York publizierte Sofr fiel mit 4,55% deutlich geringer aus. Kompensationen, die das für die Libor-Umstellung in den USA zuständige Bankengremium vorgeschlagen hat, fallen nicht hoch genug aus, um den Gläubigern einen Wechsel schmackhaft zu machen – und die noch niedrigeren Ausgleichszahlungen, auf die Schuldner pochen, ohnehin nicht.
Die Zurechnungsfähigkeit der Gläubiger – und insbesondere der Eigner von Collateralized Loan Obligations (CLO), in denen eine Vielzahl von Krediten gepoolt wird – wäre auch sehr in Zweifel zu ziehen, wenn sie sich auf niedrige Zinssätze einließen. Denn die Verhandlungsmacht liegt im Grunde fast vollständig bei ihnen. Einerseits erhalten viele Kreditvereinbarungen Bedingungen, die für den Fall, dass eine Einigung über die Umstellung von Referenzraten scheitert, deutlich höhere Zinsen vorschreiben. Andererseits ist gerade die Nachfrage am CLO-Markt für viele Unternehmen enorm wichtig, um Zugang zu neuen Fremdfinanzierungen zu erhalten. Und nachdem die Emissionsaktivität im Segment der Hochrisikokredite angesichts der restriktiven Geldpolitik der Federal Reserve im vergangenen Jahr deutlich nachließ, dürfte der Refinanzierungsbedarf in absehbarer Zeit wieder steigen.
Einige Marktteilnehmer verlassen sich laut Experten indes auf das Anfang März des vergangenen Jahres vom US-Kongress verabschiedete Gesetz, das als Libor Act bekannt ist. Dieses bestimmt Sofr-basierte Benchmarks, die nach dem 30. Juni als Auffangoption für Finanzinstrumente fungieren sollen, die nicht rechtzeitig umgestellt wurden. Eine Haltung des Zurücklehnens im Verlass auf den Libor Act ist allerdings riskant. Denn dieser gilt nur für Instrumente, bei denen keine Auffangbestimmungen oder spezifischen Ersatzbenchmarks festgeschrieben sind. Allerdings enthalten die meisten Libor-gebundenen Kreditvereinbarungen wie geschrieben durchaus Alternativen bezüglich der Referenzsätze – diese bestehen aber eben in einem Rückfall auf die sogenannte Prime Rate, die sich zuletzt auf 7,75% belief.
Eine solche Umstellung dürfte für Schuldner wenig wünschenswert sein – und mittel- bis langfristig auch für Gläubiger nicht. Denn diese haben wenig von höheren Referenzsätzen, wenn Schuldner Zinszahlungen nicht mehr bedienen können und die Zahl der Defaults steigt. Auch die Hoffnung darauf, dass im Notfall ein von der britischen Finanzmarktaufsicht FCA beauftragter „synthetischer“ Libor greifen könnte, steht auf tönernen Füßen, da entsprechende Ausweichregeln laut Experten komplizierte und langwierige Rechtsstreitigkeiten in den Vereinigten Staaten nach sich ziehen könnten. In der Zwischenzeit würden die Marktteilnehmer in der Luft hängen.
Dass die Umstellung von Libor auf Sofr gelingt, gilt derzeit zwar für wahrscheinlicher als das gegenteilige Szenario. Doch dürfte die Hektik der Marktteilnehmer bis Ende Juni hoch bleiben. Ein Rückstau bei den bearbeitenden Finanzinstituten ist damit wahrscheinlich. Auch das Komitee der Federal Reserve für alternative Referenzzinssätze betonte Ende Januar erneut die Dringlichkeit der Umstellung auf Sofr: Eine Situation, in der sich notwendige Neuverhandlungen von Kreditvereinbarungen Ende des zweiten Quartals auftürmten, sei unbedingt zu vermeiden – sonst drohten Marktverwerfungen. Welche Folgen dies angesichts der derzeitigen Turbulenzen an den globalen Finanzmärkten und im US-Bankensystem noch haben könnte, wollen sich die Beteiligten lieber nicht ausmalen. Höchste Zeit, den Übergang zu regeln!