Im BlickfeldStreit um Börsendaten nimmt zu

Was Daten kosten, bringt Fonds zum Kochen

Marktdaten sind das Öl der Finanzmärkte – doch ihr Preis sorgt für Zündstoff. Fondsanbieter werfen Börsen Preistreiberei vor, während diese sich auf Aufwand und Technik berufen. Jetzt ruft die Branche nach Regulierung.

Was Daten kosten, bringt Fonds zum Kochen

Marktdaten sind das Öl der Finanzmärkte – doch ihr Preis sorgt für Zündstoff.
Fondsanbieter werfen Börsen Preistreiberei vor, während diese sich auf Aufwand und Technik berufen. Jetzt ruft die Branche nach Regulierung.

Was Daten kosten,
bringt Fonds zum Kochen

Von Wolf Brandes und Detlef Fechtner, Frankfurt

Bei Gebühren in der Finanzbranche denkt man schnell an die monatlichen Kosten fürs Girokonto – und an den oft hitzig geführten Streit darüber. Verbraucherschützer kritisieren hohe Entgelte, Banken verweisen auf regulatorische Belastungen, der Gesetzgeber versucht mit Modellen und Deckelungen gegenzusteuern.

Doch während die Debatte im Privatkundensektor breite mediale Aufmerksamkeit bekommt, tobt ein noch wesentlich größerer Gebührenstreit weitgehend unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit – zwischen milliardenschweren Vermögensverwaltern und den ebenso mächtigen Börsenbetreibern. Es geht um etwas, das auf den ersten Blick unscheinbar wirkt: Daten.

Konkret geht es um Marktdaten – also Echtzeitkurse, Handelsvolumina, Orderbuchtiefen oder historische Preisdaten –, die für das Funktionieren moderner Kapitalmärkte unerlässlich sind. Investoren, Emittenten, Banken und Fondsgesellschaften sind darauf angewiesen, um Anlageentscheidungen zu treffen, Risiken zu bewerten oder Handelsstrategien umzusetzen. Besonders im Hochfrequenz- und algorithmischen Handel, wo Millisekunden zählen, ist der Zugang zu schnellen, exakten Daten entscheidend. Entsprechend sind Marktdaten längst zur Schlüsselressource der digitalen Finanzwelt geworden – und zum begehrten Handelsgut.

Teuer, aber unverzichtbar

Die Bedeutung von Marktdaten hat durch technologische Entwicklungen enorm zugenommen. Institutionelle Investoren, Hedgefonds und Banken verarbeiten riesige Datenmengen in Echtzeit. Die Nachfrage nach latenzarmen, hochpräzisen Informationen ist entsprechend hoch – und die Preise sind es ebenfalls. Laut einer Analyse von Market Structure Partners (MSP) sind die Gebühren für Marktdaten an europäischen Börsen in den vergangenen Jahren teils dramatisch gestiegen. So hätten beispielsweise Indexanbieter Preissteigerungen zwischen 97% und 170% verkraften müssen.

Diese Entwicklung trifft einen ohnehin von Margendruck betroffenen Sektor: Gerade Anbieter passiver Anlageprodukte, die mit minimalen Kostenstrukturen operieren, beklagen eine zunehmende Belastung durch steigende Datenkosten. Und während die Börsen von einem fairen Preis für ein wertvolles Produkt sprechen, fordern Vermögensverwalter und Branchenverbände strengere Regeln. Der Verdacht: Die Börsen schöpfen ihre Marktmacht aus, um Preise diktieren zu können.

Wie groß das Geschäft mit Marktdaten tatsächlich ist, bleibt im Dunkeln. Schätzungen gehen 2024 von einem weltweiten Volumen von 50 Mrd. Dollar bei Assetmanagern aus. Die Verbände bekommen von ihren Mitgliedern keine detaillierten Daten, weil diese als wettbewerblich sensibel gelten. So bleibt nur der Rückschluss: Es ist ein riesiges Geschäft – aber wie groß genau, weiß niemand.

„Gezielte Kompensation“

Ein Blick auf die Deutsche Börse zeigt aus Sicht von MSP einen Trend: Während das Transaktionsvolumen im Aktienhandel zwischen 2020 und 2023 um 29% zurückgegangen sei, sanken die Einnahmen aus dem Handelsgeschäft nur um 12%. Der wachsende Anteil der Marktdaten am Gesamtumsatz – von 21% auf 31% – lege nahe, dass hier gezielt kompensiert wurde. Andere große Handelsplätze wie Euronext, Nasdaq Nordics oder London Stock Exchange Group zeigten ähnliche Muster.

Gebührenmodelle werden immer komplexer

Was die Debatte zusätzlich anheizt, ist die zunehmende Intransparenz der Preisstrukturen. MSP kritisiert, dass einige Börsen mehrstufige Gebührenmodelle eingeführt hätten, bei denen algorithmische Händler oder institutionelle Investoren deutlich höhere Entgelte zahlen müssten als einfache Datenabonnenten. Für kleinere Marktteilnehmer oder neue Akteure könnten solche Strukturen eine Markteintrittsbarriere darstellen – oder Innovation ausbremsen. Der Vorwurf: Die Preisgestaltung sei nicht wirtschaftlich motiviert, sondern funktioniere wie eine verdeckte Steuer auf den Kapitalmarkt.

Die Kritik am Status quo wird immer lauter. „Assetmanager sind gesetzlich verpflichtet, Börsenkurse und Marktdaten zu nutzen. Das ist keine freie Entscheidung – und bei derart oligopolistischen Strukturen ein Fall für die Wettbewerbsbehörden“, sagt Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI. Dieser fordert deshalb ein regulatorisches Gegenstück zum Data Act – einen „EU Data Vendor Act“, der faire Bedingungen auf dem Datenmarkt sicherstellen soll.

Börsen verteidigen sich

Die Börsen hingegen verweisen auf die gestiegenen Anforderungen bei Produktion, Speicherung und Verbreitung der Daten. Sie betonen, dass erhebliche Investitionen notwendig seien, um regulatorische Vorgaben wie Mifid II zu erfüllen, Cybersicherheit zu gewährleisten und hochperformante Infrastrukturen bereitzustellen. Eine im Auftrag des europäischen Börsenverbands Fese erstellte Studie des Beratungshauses Oxera kommt sogar zu dem Schluss, dass die Marktdateneinnahmen europäischer Börsen im Schnitt nur um rund 3% jährlich gewachsen seien – also im Rahmen der Inflation.

Fese kritisiert zudem die Methodik der MSP-Analyse: Diese vergleiche außergewöhnlich hohe Handelsvolumina während der Pandemie mit Phasen niedrigerer Aktivität – ein verzerrendes Bild. Man warnt zudem vor regulatorischen Eingriffen: Eine Deckelung der Gebühren könne Innovationen gefährden, den Zugang zu Daten für kleinere Anbieter erschweren und letztlich die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Finanzmärkte beeinträchtigen. „Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Marktdatenpreise, die von Börsen wie der DBAG erhoben werden, den Markteintritt oder den Wettbewerb zwischen den Handelsplätzen in irgendeiner Weise behindert haben“, heißt es von der Deutschen Börse.

Assetmanager fordern Regulierung

Bemerkenswert ist: Ausgerechnet eine Branche wie Assetmanagement, die sich traditionell für weniger Regulierung einsetzt, fordert mehr staatliches Eingreifen. Die Forderung nach politischen Schranken entspringt der Erfahrung, dass freiwillige Marktmechanismen hier offenbar versagen. „Preisregulierung ist nicht das richtige Mittel, da sie unerwünschte Nebenwirkungen haben kann, besonders wenn sie umfassend und ohne genaue Prüfung auf ganze Sektoren angewendet wird“, so ein Deutsche-Börse-Sprecher.

Datenticker aus Ausweg?

Ein möglicher Befreiungsschlag: das sogenannte Consolidated Tape (CT) – eine Art zentraler europäischer Preisticker für Marktdaten. Der BVI unterstützt das Vorhaben: „Das Consolidated Tape könnte ein Gegengewicht zu den kommerziellen Datenanbietern bilden und für mehr Wettbewerb sorgen.“ Die EU-Wertpapieraufsichtsbehörde (ESMA) wird voraussichtlich Anfang Juli dieses Jahres bekannt geben, an welchen Finanzdienstleister sie den Auftrag vergeben wird, einen einheitlichen Datenticker für den Anleihemarkt bereitzustellen. Das ausgewählte Angebot soll den ESMA-Plänen zufolge dann noch im Laufe dieses Jahres überprüft und genehmigt werden.

Im Juni 2025 startet dann das Auswahlverfahren für den einheitlichen Datenticker im Aktienhandel, und Anfang nächsten Jahres soll schließlich der Vergabeprozess für ein Consolidated Tape im Derivatehandel eingeleitet werden. In anderen Worten: Schrittweise will die EU-Aufsichtsbehörde binnen der nächsten 24 Monate Auswahl und Genehmigung der CT-Provider (CTP) für das Zins-, Aktien- und Termingeschäft abgeschlossen haben.

Ob dieses Vorhaben hält, was es verspricht, ist offen. Kritiker warnen vor Bürokratie und hohem Umsetzungsaufwand. Doch immerhin: Der politische Wille scheint vorhanden.

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