Paris

Wein für die Zukunft

Winzer und Wissenschaftler in Bordeaux forschen nicht erst seit der jüngsten Hitzewelle, welche neuen Rebsorten dem berühmten Anbaugebiet helfen können, auf den Temperaturanstieg zu reagieren.

Wein für die Zukunft

Freunde und Nachbarn kannten in Frankreich in den letzten Tagen nur ein Thema; „Wie geht es mit der Hitze?“, fragten sie einander. „Wer von Euch Lust hat, vor der Hitze aus Paris zu fliehen, kann uns gerne in unserem Ferienhaus im Burgund besuchen“, warb eine Freundin auf Whatsapp. „Der Swimmingpool ist schön kühl.“ Abkühlung versprach auch die Staatsbahn SNCF, die in den Bahnhöfen größerer Städte kostenlos Mineralwasser an die Reisenden verteilte. Die mussten sich angesichts der Hitzewelle auf Verspätungen einstellen. Da die Hitze Schienen und Oberleitungen verformte, drosselte die Bahn die Ge­schwindigkeiten ihrer TGV-Hochgeschwindigkeitszüge, um Un­­fälle zu vermeiden.

Mit neuen Temperaturrekorden für diese Jahreszeit fürchtet Frankreich einen Hitzesommer wie 2003. Damals starben schätzungsweise 15000 Menschen an den Folgen der ungewöhnlich hohen Temperaturen im Juli und August, vor allem Ältere. Einer der Gründe war auch, dass das Land 2003 schlecht auf die Situation vorbereitet war – auch weil im Juli und August viele Mitarbeiter des Gesundheitswesens im Urlaub waren. Die Regierung hat die Lehren daraus gezogen und ein Warnsystem eingeführt. So werden etwa ambulante Pflegedienste und die Hilfen für Obdachlose verstärkt. Oft würden die SDF (Sans Domicile Fixe) mitten in der sengenden Hitze auf der Straße betteln, berichten Mitarbeiter von Wohltätigkeitsorganisationen. Deshalb sei es wichtig, darauf zu achten, dass sie genügend Wasser zu trinken hätten und keinen Hitzschlag erlitten.

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Besonders betroffen von der Hitzewelle waren die Départements im Südwesten. Temperaturen von um die 40 Grad an manchen Tagen sind in Bordeaux im Juli und August keine Ausnahme. Da das Phänomen in den kommenden Jahren weiter zunehmen dürfte, forschen Winzer und Wissenschaftler bereits, um herauszufinden, welche Reben für den erwarteten Temperaturanstieg am besten geeignet sind, ohne die für das berühmte Anbaugebiet typischen Charakteristika des Weines zu verändern.

Die Wissenschaftler des landwirtschaftlichen Forschungsinstitutes Inrae haben bereits 2009 begonnen, auf einer Parzelle des Weinforschungsinstituts in Bordeaux 52 verschiedene, vor allem in südlichen Gegenden verbreitete Rebsorten anzubauen. Von diesen haben sie sechs ausgewählt, die Winzer nun versuchsweise anbauen dürfen – vier rote und zwei weiße. Bisher müssen sie dabei strenge Auflagen berücksichtigen. So erlaubt das für Herkunftsbezeichnung und Qualität zuständige Institut Inao bisher nur, dass sie maximal 5% der Anbaufläche eines Weingutes be­tragen dürfen. Ihr Anteil an der Zusammensetzung des Weines selber darf 10% nicht überschreiten.

Das berühmte Anbaugebiet hofft, dass die neu zugelassenen Reben vielleicht auch helfen, ein anderes Problem zu lösen. Da sie später reifen als die bisher für Bordeaux typischen Rebsorten, könnten sie vielleicht weniger anfällig für Nachtfrost sein, da sie später blühen. Ob die nun versuchsweise erlaubten Rebsorten tatsächlich die erhofften Ergebnisse liefern, wird sich allerdings erst innerhalb der nächsten zehn Jahre zeigen.

Der Geschäftsmann Bernard Magrez, dem in Bordeaux vier Grand Cru Classés und weltweit insgesamt 43 Weingüter gehören, forscht unabhängig davon seit 2013 an den Auswirkungen des Klimawandels auf das Anbaugebiet. Seine Forschungs- und Entwicklungsabteilung baut deshalb auf den Flächen von Château La Tour Carnet in Saint-Laurent-Médoc 84 Rebsorten an, darunter neben Sorten aus Spanien, Italien, Algerien, Tunesien, Marokko und dem Mittleren Osten auch einige in Vergessenheit geratene.

Um zu sehen, welche am besten für eine Temperaturerhöhung von zwei bis vier Grad zu den momentanen Durchschnittstemperaturen ge­eignet sind, wendet sie Technologien an, die ursprünglich für die Luft- und Raumfahrttechnik entwickelt wurden. Dafür wurden in die Experimental-Rebstöcke Kabel verlegt, die sonst dazu dienen, die Temperaturen in den Flügeln von Flugzeugen künstlich steigen zu lassen. Das Projekt von Magrez ist die bisher größte private Forschungsinitiative in dem Anbaugebiet von Bordeaux.

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