Unterm Strich

Wenn soziale Medien zum Bank Run führen

Banken und Aufsichtsbehörden haben keinen Plan, wie sie mit Investoren wie Elon Musk und mit Finfluencern umgehen sollen. Künftig müssen sie daher Social Media in ihrem Risikomanagement und in den regulatorischen Anforderungen stärker berücksichtigen

Wenn soziale Medien zum Bank Run führen

Die Medien sind schuld. Wie immer. Schon in der Antike wurde der Überbringer schlechter Nachrichten oft einen Kopf kürzer gemacht. Im Falle des Untergangs von Credit Suisse sind es die sozialen Medien, die angeblich wesentlich zum schnellen Ende der Schweizer Bank beigetragen haben. So jedenfalls sehen es die Präsidentin der Schweizerischen Finanzmarktaufsicht Finma, Marlene Amstad, und der Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse, Axel Lehmann. Amstad beklagte in der Pressekonferenz vor einer Woche: „Seit dem Oktober 2022 führten auf den sozialen Medien ausgelöste Gerüchte zu massiven Abflüssen von Kundeneinlagen bei der Credit Suisse.“ Und Lehmann ergänzte: „Viele Kunden und Kundinnen sind lange sehr loyal und sehr treu gewesen. Letzten Herbst hatte dann der Social Media Storm ganz enorme Auswirkungen.“

Die „ganz enormen Auswirkungen“ waren der Abzug von Kundengeldern in Milliardenhöhe. Der hatte sich in der Tat sehr beschleunigt nach einem Tweet des australischen TV-Journalisten David Taylor, der am 1. Oktober 2022 geschrieben hatte: „Glaubwürdige Quellen sagen mir, dass eine große internationale Investmentbank am Abgrund steht.“ Einen Namen nannte Taylor zwar nicht, aber der Tweet ging viral und wurde auf verschiedenen Plattformen schnell mit Credit Suisse in Verbindung gebracht. Warum die Schweizer Bank? Weil man es ihr am ehesten zutraute nach der Serie von Pleiten, Pech und Pannen und immer wieder überraschenden Milliardenverlusten. Das Vertrauen in die Bank und ihre Führung war schon damals stark erodiert. Und das vielleicht solide, aber wenig emphatisch und kommunikativ erscheinende Führungsduo aus CEO Ulrich Körner und Verwaltungsratspräsident Lehmann war nicht in der Lage, Vertrauen wiederherzustellen. Denn der Verweis auf Buchwerte, Kapitalquoten und Liquiditätskennziffern beruhigt nicht in Krisenphasen, schon gar nicht im Netz. Dort findet kein Faktencheck statt, sondern es wird schnell bewertet und gehandelt, vor allem auf Basis von Meinungen.

Wie schnell, hat die Credit Suisse erneut erlebt, als ihr saudischer Großaktionär in einem Bloomberg-TV-Interview vor zehn Tagen verkündete, kein Kapital mehr in die Bank einschießen zu können. Das Video verbreitete sich in Windeseile über die sozialen Medien und ließ auch die Wirkung der daraufhin verkündeten Kredithilfe der Schweizerischen Nationalbank über 50 Mrd. sfr verpuffen. Die Schuld für den Untergang der Credit Suisse dann vor allem den sozialen Medien zuzuweisen und nicht dem Missmanagement und der kommunikativen Fehlleistung, beweist den Realitätsverlust und Tunnelblick der Verantwortlichen in Bank und Aufsicht.

Zweifelsohne haben sich in der digitalen Welt die Reaktionszeiten verkürzt, können Bankeinlagen in Millionenhöhe mit wenigen Klicks transferiert werden. Der Bank Run auf die Silicon Valley Bank habe dies besonders eindrucksvoll ge­zeigt, so die Citigroup-Chefin Jane Fraser vor wenigen Tagen bei einem Vortrag in Washington: „Es gab ein paar Tweets und dann ging das Ding schneller unter als je zuvor in der Geschichte.“ In der Tat, die vielen Klicks auf den Finanzapps der Kunden-Handys addierten sich in kürzester Zeit auf einen zweistelligen Milliardenbetrag an Abhebungen. So schnell, dass kein potenzieller Käufer rechtzeitig eine Offerte zur Rettung der SVB ausarbeiten konnte, sondern Aufsicht und Einlagensicherung die Regie übernahmen.

Sowohl im Silicon Valley als auch am Zürcher Paradeplatz waren aber nicht die sozialen Medien ursächlich für den Kollaps der Banken, sondern es waren die Fehler des Managements, die den Vertrauensverlust auslösten. Natürlich sind soziale Medien Echokammern, die Meinungen verstärken, im Guten wie im Schlechten. Und ganz gewiss wirken sie wie Brandbeschleuniger – vor allem dann, wenn man selbst zuvor genügend Brennstoff geliefert hat. Die Wechselwirkung von Social Media und Finanzmärkten ist aber keine Terra incognita. Über sie wird seit Jahren geforscht. Nicht zuletzt die sogenannten Meme-Aktien haben nicht nur das Interesse von Investoren und Zockern geweckt, sondern auch das der Finanzaufsicht, der Kapitalmarktforschung und sogar der breiten Öffentlichkeit. Man erinnere sich an Gamestop, AMC und Co., mit denen Investoren – vom Shortseller bis zum Kleinanleger – in kurzer Zeit reich oder arm wurden, je nach Timing. Fakt ist: Die Aufsichtsbehörden haben noch keinen Plan, wie sie mit prominenten Investoren wie Elon Musk und den vielen Finfluencern umgehen sollen, wenn diese sich in den Social Media über Aktieninvestments, Kryptoassets oder Shortsellings ausbreiten und Märkte manipulieren.

Mehr Transparenz nötig

Social Media werden von den meisten Unternehmen bisher als Thema für Investor Relations oder die Unternehmenskommunikation betrachtet. Als Kanäle, um über die ESG-Aktivitäten, über Forschung oder über Produkte zu informieren. Die Lehre aus den gerade erlebten und von Social Media verstärkten Bank Runs muss sein, dass Banken und ihre Aufsichtsbehörden dies in ihrem Risikomanagement beziehungsweise den regulatorischen Anforderungen stärker berücksichtigen. Zur Gefahr aus dem Netz gehören eben nicht nur Cyberrisiken, sondern auch gezielte Aktionen in den sozialen Medien zur Beeinflussung der Finanzmärkte und ihrer Akteure.

Gerade für Banken geht es dabei nicht nur um den Einfluss auf den Aktienkurs und damit die Eigenkapitalfinanzierung. Es geht mehr noch um die Einlagen und damit das Geschäftsmodell. Hier können nur mehr Transparenz und eine wesentlich aktivere Kommunikation mit Investoren, Kreditoren und Kunden Vertrauen schaffen und die Immunität gegen Social-Media-Stürme stärken. Dann sind Social Media keine Gefahr, sondern eine Chance.

c.doering@boersen-zeitung.de