Im BlickfeldTrotz Sanktionen

Wer Russlands Wirtschaft am Laufen hält

Die Sanktionen haben den russischen Konzernen das Leben durchaus schwer gemacht. Aber anpassungsfähig, wie diese sind, verdienen sie prächtig. Manche verdanken ihren Erfolg eigentlich westlichen Unternehmen.

Wer Russlands Wirtschaft am Laufen hält

Wer Russlands Wirtschaft 
am Laufen hält

Trotz Sanktionen und Kriegs in der Ukraine verdienen russische Konzerne prächtig. Manche verdanken ihren Erfolg eigentlich westlichen Unternehmen.

Von Eduard Steiner, Moskau

Wenn es noch eine anschauliche Erklärung für den Umstand gebraucht hat, dass Russland trotz Sanktionen und Exportbeschränkungen ausreichend Geld hat, um den Krieg gegen die Ukraine zu führen, ein Blick auf die Gewinne und die Gewinnentwicklung der Großunternehmen des Landes liefert sie. Und er verdeutlicht zudem die generell hohe, aber unterschiedlich erfolgreiche Anpassungsfähigkeit der Firmen.

Russland ist und bleibt auch zweieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn und eineinhalb Jahre nach Verhängung westlicher Ölexportbeschränkungen in erster Linie ein Erdölstaat. Wie nämlich das vom russischen Forbes-Magazin jüngst publizierte Ranking der gewinnstärksten Unternehmen des Landes für das Jahr 2023 zeigt, finden sich in den Top-10 ganze sechs Ölkonzerne, respektive mit der Ölbranche verbundene Unternehmen.

Russischer Darth Vader

Den größten Überschuss mit 1,53 Bill. Rubel (zum jetzigen Kurs etwa 14,8 Mrd. Euro) erzielte im vergangenen Jahr der staatliche Branchenprimus Rosneft, bei dem der ehemalige Vizechef der Präsidialadministration im Kreml, Igor Setschin, ob seiner mürrischen Physiognomie auch russischer Darth Vader genannt, die Geschäfte führt. Bis kurz nach Kriegsbeginn hatte der britische Ölkonzern BP knapp ein Fünftel des Rosneft-Aktienkapitals besessen und der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder hatte dem Aufsichtsrat vorgesessen. Gegenüber dem ersten Kriegsjahr 2022 hat Rosneft den Gewinn 2023 fast verdoppelt. Beim drittgrößten Ölkonzern Surgutneftegaz hat sich der Gewinn auf 1,32 Bill. Rubel vervielfacht, beim zweitgrößten und privaten Ölkonzern Lukoil ist er zumindest kräftig gestiegen.

Im ersten Kriegsjahr 2022 war zwar der Ölpreis höher als 2023 und im laufenden Jahr 2024. Aber die russischen Konzerne hätten in ihren Bilanzen für 2022 viele Abschreibungen und sanktionsbedingte Abwertungen vornehmen müssen, erklärt der russische Ökonom Wladislaw Inozemcev, Mitbegründer des Zentrums für Analysen und Strategien in Europa, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Die Bilanzen 2023 zeigen, dass Russland mit dem Ölexport ausreichend Geld verdient“.

Neue Abnehmer

Das ist insofern paradox, als die EU, die im Vorkriegsjahr 2021 noch Öl im Wert von 71 Mrd. Euro aus Russland importiert hatte, im Dezember 2022 90% dieses Imports verboten hatte. Zudem legte sie gemeinsam mit den G-7-Staaten einen Ölpreisdeckel von 60 Dollar je Fass russischen Rohöls fest. „Wie bei vielen Sanktionen kam es auch beim Ölembargo und Ölpreisdeckel anfänglich zu einem Schock und zur beabsichtigten Wirkung, aber nach drei bis vier Monaten waren Wege zur Umgehung der Maßnahmen gefunden“, sagt Inozemcev.

Russland lenkte seine Exportströme von Europa nach Asien um, speziell nach China und auffällig stark nach Indien. So organisierte Moskau eine eigene, sogenannte Schattenflotte. „Außerdem umgehen die Konzerne den Preisdeckel, indem sie das Öl beim Verladen an der Landesgrenze formal verbilligt an Zwischenhändler abgeben, die es dann den Abnehmern teuer verkaufen“, sagt der russische Energieexperte Michail Krutichin, im Gespräch mit der „Börsen-Zeitung“: „Die Zwischenhändler aber sind häufig mit den Ölkonzernen selbst affiliiert“. Entsprechend blieb viel Geld auch im Ausland stecken.

Höhere Steuern und Zölle

Dazu kommt, dass die USA seit Anfang 2024 mit der Androhung von Sekundärsanktionen gegen Russlands Handelspartner den Geldfluss bei Auslandsüberweisungen zum Stocken gebracht haben. Laut russischer Zentralbank sind die russischen Finanzvermögen im Ausland in den ersten sieben Monaten 2024 um 45 Mrd. Dollar gestiegen, nachdem sie im Vergleichszeitraum 2023 um 21 Mrd. gewachsen waren. Gewiss, bei jenem Teil der Exporteinnahmen, die tatsächlich nach Russland fließen, kam gerade in der zweiten Hälfte 2023 die deutliche Rubelschwäche zum Tragen und brachte den Firmen und dem Staat mehr Geld ein.

So wie der Westen bei den Sanktionen ständig nachjustiert, um deren Umsetzung zu verbessern, so bessert der russische Staat nach, um mehr Steuern und Exportzölle von den Exportunternehmen einzuheben. Für das laufende Jahr etwa werden 11,3 Bill. Rubel (109 Mrd. Euro) an staatlichen Einnahmen aus dem Öl- und Gasverkauf erwartet – fast genau die Summe, die an Budgetausgaben für Verteidigung vorgesehen ist. Im kommenden Jahr sollen die Verteidigungsausgaben laut aktuellem Budgetentwurf sogar noch um 25% auf 13,5 Bill. Rubel steigen.

Verlierer Gazprom

Was nun die Einnahmen aus dem Gasexport 2023 betrifft, so ist das Bild uneinheitlich. Russlands einst größtes Unternehmen, Gazprom, das 2022 noch am meisten von allen verdient hatte, ist 2023 aus der genannten Forbes-Liste geflogen. Zum ersten Mal seit 1999 nämlich erlitt der Konzern einen Verlust – und zwar in der Höhe von 629 Mrd. Rubel (gut sechs Mrd. Euro). Grund dafür ist die Dezimierung des europäischen Marktes, vormals der wichtigste für den Konzern. Auch wenn der Export nach China gestiegen ist, so kann er Europa nicht kompensieren – und wird das in absehbarer Zeit auch nicht können, weil China dem Bau einer weiteren Pipeline bislang nicht zustimmt. Für eine großflächige Umorientierung auf den Export verflüssigten Erdgases (LNG) mittels Schiffen fehlen dem Konzern jedoch die Verflüssigungsanlagen.

Je schlechter es Gazprom geht, umso besser geht es Novatek, Russlands zweitgrößtem und auf LNG spezialisiertem Gasproduzenten. Zumindest temporär. Zwar ist er zuletzt auch immer mehr ins Visier vor allem der USA geraten, um am Ausbau seiner Kapazitäten gehindert zu werden. Aber die EU bezog seit Kriegsbeginn durchaus bereitwillig LNG von Novatek. Nachdem der Anteil der Russen am LNG-Import der EU von 16% im zweiten Quartal 2022 ein Jahr später auf 13% gefallen war, schnellte er wieder nach oben und erreichte im zweiten Quartal 2024 ganze 18%. Novatek nimmt mit 470 Mrd. Rubel Gewinn denn auch Platz fünf in der Forbes-Liste ein. Novatek ist wohlgemerkt direkter Konkurrent der USA, die zu Europas größtem LNG-Lieferanten wurden.

Banken melden sich zurück

Aber Russland und seine Unternehmen verdienten 2023 nicht nur durch den Öl- und Gasexport. Gerade die Banken, 2022 durch den Ausschluss vom globalen Finanzkommunikationsnetz SWIFT anfänglich angeschlagen, meldeten sich 2023 zurück. Platzhirsch Sber wurde mit einem Gewinn von 1,5 Bill. Rubel wieder zum zweitlukrativsten Konzern Russlands. Und auch die zweitgrößte Bank, VTB, 2022 noch tief im Minus, wies 2023 plötzlich den sechstgrößten Gewinn im ganzen Land aus. Ihnen kommt zugute, dass die Zentralbank im Kampf gegen die Rubelabwertung und die Inflation den Leitzins gerade im zweiten Halbjahr 2023 auf letztlich 16% hochriss. „Die Situation ist für die Banken hyperkomfortabel“, sagt Ökonom Inozemcev: „Die Margen stiegen kontinuierlich an. Der Finanzsektor ist sehr robust“.

Gewiss, bei weitem nicht alle Konzerne verdienten im vergangenen Jahr blendend. Bei Rohstoffkonzernen schmälerte der Preisrückgang etwa bei Nickel, Palladium, Düngemittel oder Kohle den Gewinn. Manche – beispielsweise die Holzkonzerne im Nordwesten des Landes – können den Wegfall des europäischen Marktes bis heute allein schon logistisch nicht durch neue Märkte etwa in Asien kompensieren. Dafür profitierten manch andere vom Rückzug westlicher Konzerne aus Russland, indem sie Vermögenswerte zum Spottpreis übernahmen. Mehr als 107 Mrd. Dollar haben ausländische Unternehmen seit Kriegsbeginn in Russland abgeschrieben oder an Einnahmen verloren, schrieb die Nachrichtenagentur Reuters Ende März dieses Jahres in einer Analyse. Ökonom Inozemcev schätzt die Summe inzwischen auf 200 Mrd. Dollar. „Das hat so manchen russischen Oligarchen reich gemacht“.