Madrid

Wirtschaftsbosse hoffen auf Entspannung in Katalonien

Spaniens Ministerpräsident Sánchez macht mit der Begnadigung der katalanischen Separatisten einen riskanten Schritt im Sinne der Entspannung. Die Arbeitgeberverbände heißen die Geste gut, sehr zum Ärger der konservativen Opposition.

Wirtschaftsbosse hoffen auf Entspannung in Katalonien

Die Polarisierung in der heutigen Gesellschaft treibt oft seltsame Blüten. In Spanien hat die Kontroverse über die Begnadigung von neun katalanischen Separatistenführern die eigentlich der Wirtschaft nahestehende konservative Volkspartei PP gegen die Arbeitgebervertreter aufgebracht. Am Dienstag beschloss die Koalitionsregierung aus Sozialisten und Linken wie seit längerem angedeutet, neun katalanische Politiker und Aktivisten zu begnadigen, die wegen ihrer Rolle beim nicht legalen Referendum und der folgenden Unabhängigkeitserklärung im Oktober 2017 zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez will mit diesem riskanten Zug einen Schritt auf die Separatisten zugehen und neuen Schwung in eine mögliche politische Lösung bringen. Doch die bürgerliche Opposition, die PP, die liberale Ciudadanos und die rechtsradikale Vox, laufen seit ein paar Wochen Sturm gegen diese Geste der Regierung – mit Demonstrationen, Unterschriftensammlung und wüsten Anschuldigungen, die so weit gehen, Sánchez die Absicht eines „Regimewechsels“ zu unterstellen.

Doch vergangene Woche sah sich PP-Chef und Oppositionsführer Pablo Casado auf einer Veranstaltung von Wirtschaftsvertretern in Barcelona, an der auch Sánchez teilnahm, in die Enge getrieben. Die Unternehmer und Bosse der katalanischen Verbände drängten ihn, seine harte Ablehnung bei den Begnadigungen aufzugeben, um eine mögliche und wünschenswerte Entspannung der Lage in Katalonien nicht zu gefährden. Auch der Vorsitzende des spanischen Arbeitgeberdachverbandes CEOE, Antonio Garamendi, sprach sich zunächst für die Geste aus, um die Situation zu „normalisieren“. Dafür bekam der Baske heftigen Gegenwind aus den eigenen Reihen, sodass er klarstellte, er habe sich auf die Normalisierung der Situation der vielen Firmen bezogen, die 2017 im Zuge der Spannungen ihren Sitz aus Katalonien in andere Teile Spaniens verlegt hatten.

Die Konservativen, die sich allgemein als die größten Interessenvertreter der Wirtschaft darstellen, wiesen die Kritik der Arbeitgeber schroff zurück. „Unsere einzigen Aktionäre sind die Spanier“, erklärte Casado. Der Oppositionsführer warf den Verbänden sogar vor, sich Sánchez anzubiedern, um an die Milliarden an Fördergeldern aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds zu gelangen. Die PP will die Begnadigung vor dem Obersten Gerichtshof anfechten – wobei dem wenig Chancen auf Erfolg ausgerechnet werden.

Sánchez wurde für die Geste gegenüber den Separatisten auch in den Reihen seiner Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) kritisiert. Die meisten Mitstreiter, wie der Koalitionspartner Unidas Podemos und andere regionale und nationalistische Parteien, unterstützen jedoch die Begnadigungen. Viele Experten sprechen von einem gewagten und mutigen Schritt. Denn die Freilassung der neun Häftlinge könnte der Bewegung etwas Wind aus den Segeln nehmen. Seit der Verurteilung machen die Separatisten nämlich vor allem gegen die ihrer Meinung nach repressive Staatsgewalt mobil. Damit erreichen sie auch Menschen in Katalonien, die zwar gegen die Unabhängigkeit von Spanien sind, denen die langen Haftstrafen für die Politiker und Aktivisten jedoch auch zuwider sind. Auch in Europa wurde der spanische Rechtsstaat für das harte Strafmaß gemäß einem überholten Delikt der „sedición“ oder Anstiftung zum Aufruhr kritisiert.

Nun will Sánchez die Gespräche zwischen Madrid und Barcelona wieder aufnehmen, so wie er es mit der republikanischen Linken Kataloniens (ERC) im Gegenzug zu deren Stimmen bei der Amtseinführung seiner Minderheitsregierung Anfang 2020 vereinbart hatte. Was dabei rauskommen könnte, weiß niemand im Lande. Die neue ERC-geführte Regierung Kataloniens begrüßte die Begnadigungen und sprach vom „Beginn einer neuen Etappe des Dialogs“. Die Separatisten halten aber an ihrer Forderung eines legalen Unabhängigkeitsreferendums fest – was für die Sozialisten von Sánchez absolut tabu ist. Zwei Jahre will man sich nun für die Verhandlungen Zeit lassen. Dann stehen in Spanien die nächsten Wahlen an und man wird bewerten können, ob die Geste der Begnadigungen etwas bewirkt haben wird oder nicht.