London

Work from Pub statt Homeoffice

Britische Pubketten versuchen mit Lockangeboten, Büronomaden in ihre Lokale zu lotsen. Bei Young’s gibt es für 15 Pfund einen Arbeitsplatz, ein Mittagessen sowie den ganzen Tag Tee und Kaffee dazu.

Work from Pub statt Homeoffice

Energiesparen ist in Großbritannien zum großen Thema geworden. Anders als der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann will Premierministerin Liz Truss den Menschen zwar nicht empfehlen, den Waschlappen zu benutzen statt warm zu duschen. Sie wolle keinem vorschreiben, wie er leben soll, begründete sie den Verzicht auf eine breit angelegte Werbekampagne der Regierung für einen geringeren Energieverbrauch. Doch haben steigende Rechnungen ganz von selbst dafür gesorgt, dass viele ihre bisherige Lebensweise auf den Prüfstand stellen. Das Boulevardblatt „Sun“ testet Heizdecken für die Leser. Das sparsamste Modell bringt einen für 2 Pence durch eisige Winternächte – ein wesentlich besserer Deal, als die Heizung laufen zu lassen. Neben Decken werden dem Einzelhandel zufolge auch stromsparende Heißluftfritteusen stark nachgefragt.

Andere Zeitungen geben Tipps für das Verhalten bei rollierenden Blackouts. Nachdem den Menschen auf Verbraucherseiten geraten wurde, vorzukochen und die Mahlzeiten dann portionsweise einzufrieren, fragen sie sich nun natürlich, was mit ihrem Essen passiert, wenn der Strom für mehrere Stunden abgeschaltet wird. Doch keine Sorge, heißt es im „Telegraph“. In einem guten Gerät bleiben die Sachen angeblich auch ohne Strom 24 Stunden lang gefroren – je voller es ist, desto besser. Auch ein Kerzenvorrat sei eine gute Idee. Statt auf Taschenlampen griffen immer mehr Menschen ausschließlich auf ihre Smartphones zurück. Das könne sich als Problem erweisen, wenn das Licht ausgehe. Denn dann seien vielleicht ein paar Stunden zu überbrücken, das Gerät aber nicht unbedingt zu 100 % aufgeladen. Es sei auch eine gute Idee, Passwörter und wichtige Telefonnummern, die man sonst auf dem Gerät nachschlage, auch auf einem Stück Papier zu haben.

Das hört sich alles ziemlich finster an. Doch für eine Branche, die bereits unter der Pandemie stark zu leiden hatte, birgt die Energiekrise auch eine Chance: Die Pubkette Young’s machte schon vor zwei Jahren mit einem „Work from Pub“-Angebot Schlagzeilen. Sie bietet Büroangestellten erneut die Möglichkeit, statt vom Homeoffice vom Stammtisch aus zu arbeiten. Ab 15 Pfund pro Tag erhalten sie neben Tisch und Steckdose ein Sandwich als Mittagessen sowie unbegrenzt Tee und Kaffee. Ruhigere Ecken soll es dafür in den 185 Lokalen, die sich daran beteiligen, auch geben. Statt am Wasserspender im Büro kann man sich dann an der Theke treffen.

Tatsächlich überlegen sich viele Briten, ob sie ihre Wohnung den ganzen Tag heizen sollen, um „Work from Home“ zu betreiben. Derzeit schließen dem Marktforscher Altus Group zufolge in England und Wales rund 50 Pubs pro Monat ihre Pforten. Es gibt aber noch 39 800. Für sie ist jeder neue Ansatz, wieder mehr Menschen in die Kneipen zu bringen, wichtig, zumal sie mit steigenden Energie- und Lebensmittelkosten zu kämpfen haben. Im April läuft auch der 50-prozentige Rabatt auf die Gewerbeimmobiliensteuer aus, der ihnen dabei helfen sollte, nach der Pandemie wieder auf die Beine zu kommen.

Young’s ist aber nicht allein. Man kann bereits von einem Trend sprechen. Fuller’s hat in ihren 380 Pubs ein ähnliches Angebot, das Mittagessen und ein Getränk ab 10 Pfund umfasst. Belushi’s ist mit 7 Pfund pro Tag Kostenführer. Dafür bekommt man einen Arbeitsplatz, endlos Kaffee, Wi-Fi und am Ende des Arbeitstages ein Bier oder ein Glas Wein. Auch bei Othership, die Büronomaden hilft, Orte für das mobile Arbeiten zu finden, gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Cafés und Pubs. Wer 25 Pfund für eine Jahresmitgliedschaft ausgibt, bekommt vielerorts ein kostenloses Heißgetränk. Je nach Anbieter gibt es für kleines Geld auch endlos Kaffee und andere Dinge.

Nun kann es natürlich Gründe geben, nicht aus dem Pub zu arbeiten. Dazu gehört eventuell das Image der Marke, für die man tätig ist. Mit Kollegen in einer Kneipe zu arbeiten ist mit Sicherheit keine gute Idee. Mindestens ein gemeinsames Feierabendbier wäre unvermeidlich. Und schon wäre die gesamte Heizkostenersparnis wieder aufgefressen. Denn alkoholische Getränke gibt es nicht verbilligt, schon gar nicht endlos.

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