Britische Politiker

Yes Minister

Der Greensill-Skandal hat vor allem eines gezeigt: Mit der Unabhängigkeit der britischen Karrierebeamten ist es oft nicht allzu weit her.

Yes Minister

Liest man die britischen Kommentarspalten, drängt sich der Eindruck auf, die Welt drehe sich darum, wer für die Renovierung von Boris Johnsons Dienstwohnung in 10 Downing Street bezahlt hat. Da wird nach Herzenslust über den allseits bekannten Tory-Filz gewettert und David Camerons Beratertätigkeit für das vermeintliche Fintech-Wunderkind Lex Greensill als neuester Beleg dafür angeführt. Dass der ehemalige Premier in seinem neuen Job als Klinkenputzer zwar ordentlich Druck machte, für seinen neuen Arbeitgeber aber offenbar keine Aufträge hereinholte, wird selten erwähnt. Man fühlt sich an­gesichts des unbeholfenen Auftretens des Premiermi­nisters an die Sitcom „Yes Minister“ erinnert. Allerdings wird in der Aufregung über die Bio-Tapeten, die sich Johnsons Lebensgefährtin Carrie Symonds gewünscht haben soll, leicht vergessen, dass es dieses Mal auch woanders ordentlich stinkt.

Wenn über Vorteilsnahme durch Politiker berichtet wird, ist man als abgeklärter Bürger nicht besonders überrascht. Doch den Karrierebeamten, die das Regierungsviertel Whitehall bevölkern, haftete lange der Nimbus der Unabhängigkeit und Kompetenz an. Nun zeigte sich, dass der Chef des öffentlichen Beschaffungswesens gleichzeitig auch für Greensill Capital arbeitete – an und für sich schon ein ungeheuerlicher Vorgang. Noch schwerer wiegt, dass ihn der verstorbene Kabinettssekretär Jeremy Heywood bat, als Berater an Bord zu bleiben, als seine Amtszeit 2015 endete. Von Tony Blair bis David Cameron: Die Premierminister kamen und gingen, Heywood blieb im Amt – bis auf fünf Jahre bei Morgan Stanley. Lex Greensill hatte er während dieses Zwischenspiels als Investmentbanker kennengelernt. Danach nutzte er seine Machtfülle, um ihm die Türen des Regierungsviertels zu öffnen. Am Ende hatte Greensill eine Visitenkarte, die ihn als Berater des Premierministers auswies, einen Schreibtisch in 10 Downing Street und verbeamtete Helfer, ohne je einen Arbeitsvertrag unterschrieben zu haben.

Je tiefer man gräbt, desto mehr entsteht das Bild einer schamlosen, selbstzufriedenen Nomenklatura, die sich darauf verlassen konnte, dass diejenigen, die nach ihnen kommen, es genauso machen werden. Eine eilends vom amtierenden Kabinettssekretär Simon Case eingeleitete Untersuchung ergab, dass „weniger als 100“ führende Beamte bezahlten Nebentätigkeiten nachgehen. Der allergrößte Teil halte sich an die geltenden Bestimmungen, versicherte Case, als wäre das kein Skandal, sondern alles in allem ein positives Ergebnis.

Offenbar werden viele Eton- und Oxbridge-Absolventen durch ihre Tätigkeiten nicht ausgelastet. Der in Ungnade gefallene Brexit-Stratege Dominic Cummings hatte dieser permanenten Regierung, die bleibt, wenn Politiker abgewählt werden, den Kampf angesagt. Er wollte eine schlankere Verwaltung und mehr Experten, die sich auf ihren Fachgebieten wirklich auskennen, weniger Generalisten aus den Eliteuniversitäten. Die Verlegung von Funktionen in andere Landesteile sollte zudem dafür sorgen, dass nicht nur die Sichtweisen von Bewohnern des wohlhabenden Südostens vertreten sind. Natürlich störte ihn auch, dass sich Teile der Verwaltung in Sachen Brexit ganz und gar nicht neutral verhielten.

Das Klima zwischen Regierung und Verwaltung trübte sich daraufhin erheblich ein. Philip Rutnam lud eigens die BBC ein, um sein Amt als ranghöchster Beamter im Innenministerium möglichst öffentlichkeitswirksam niederzulegen. Der Cambridge-Absolvent aus gutem Hause warf Innenministerin Priti Patel Mobbing vor. Die Tochter indischer Einwanderer, die Ergebnisse sehen wollte, habe im Innenministerium ein Klima der Angst geschaffen. Auch Simon McDonald, der ranghöchste Beamte im Außenministerium, und Heywoods Nachfolger Mark Sedwill gaben entnervt auf. Denn die Regierung wollte nicht nur verbal die politische Linie bestimmen, sondern auch dafür sorgen, dass ihre Vorgaben in die Tat umgesetzt werden. Der Beamtenapparat hatte dies oft verhindert, ganz im Stil des unvergesslichen Sir Humphrey Appleby in der Serie „Yes Minister“. Als Grund musste häufig das in britisches Recht übertragene EU-Recht herhalten, als hätte es nach Wirksamwerden des Brexit nicht die Möglichkeit gegeben, die nötigen Änderungen vorzunehmen. Eine Reform des öffentlichen Diensts ist bitter nötig. Johnson hat bei den Wählern erstaunlichen Rückhalt und könnte sie in Angriff nehmen. Labour vermochte dagegen auch von der Skandalisierung der neuen Tapeten nicht zu profitieren. (Börsen-Zeitung,

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