Frankfurt

Zeitenwende in Sachsenhausen

Gut, dass es in Sachsenhäuser Apfelweinlokalen nicht nur Haspel und Rippchen gibt, sondern auch vegetarisches Schnitzel an Grüner Soße. Aber schade, dass zwischen Bembeln und Mispelchen auch Burger Einzug halten.

Zeitenwende in Sachsenhausen

Einen echten Sachsenhäuser erkennt man daran, dass er es für Barbarei hält, wenn man versucht, Wein aus Trauben zu pressen. Schließlich hat Gott ja die Rheinische Bohn, die Goldparmäne und andere wundervolle Apfelsorten geschaffen, die auf Streuobstwiesen darauf warten, geerntet und in der Kelterei zu Wein veredelt zu werden. Nicht umsonst ist der hessische Apfelwein von der Europäische Union als geografische Angabe davor geschützt, dass sich irgendwelche Brausen – zum Beispiel französischer Cidre – mit ihm auf gleiche Stufe stellen können. Und seit kurzem steht Hessens Apfelweinkultur gar auf der Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes.

Für die Sachsenhäuser Seele sind beide Wertschätzungen eine Genugtuung, gab es doch in den Neunziger Jahren Bestrebungen, den Apfelwein als „vin inferieur“ zu diskreditieren – als Minderwein. Als Apfelwein in EU-Gesetzesentwürfen in einem Atemzug mit Waldbeerenweinen genannt wurde, kochte seinerzeit in den Apfelweinlokalen zwischen Frankensteiner und Schweizer Platz die Volksseele: Sachsenhausen, so agitierten seinerzeit die Rädelsführer, sollte schleunigst aus der EU austreten. Wie gesagt, mittlerweile schaut die Welt mit mehr Respekt auf Frau Rauscher und ihre Freunde rund um Klapper- und Rittergasse.

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Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzieht sich in den Fichtekränzis, Eichkatzerls und Kanonesteppels übrigens gerade eine Zeitenwende. Wo früher nur Rindersolber und Haspel ausgereicht wurde, da ist mittlerweile auch ein vegetarisches Frankfurter Schnitzel zu haben – also panierte Gemüsescheiben an Grüner Soße und Bratkartoffeln. Während die Ergänzung durch mehr vegetarische Gerichte zweifelsfrei ein Fortschritt ist, ist bedauerlicherweise auch eine gewisse Öffnung für Fast-Food-Esskultur zu beklagen. Selbst im Gemalten Haus findet sich jetzt ein Burger auf der Speisenkarte.

Demgegenüber ist die Getränkekarte weiterhin traditionell geprägt. Die Inflation hat zwar auch vor dem Apfelwein nicht haltgemacht. Der Schoppen im Wettkampfglas (0,3 Liter) kostet gegenwärtig Pi mal Daumen 2,50 Euro. Oder wie die alten Sachsenhäuser bejammern: „Fünf Mack“. Aber damit ist das Glas Apfelwein immer noch deutlich günstiger als ein Bier – was ja auch sinnvoll ist, denn wer bitte schön geht in Apfelweinlokale, für „ein Lecker Pils“. Prohibitiv hohe 4,60 Euro müssen die Gäste auf der Schweizer Straße für ein Weizen zahlen – mit Verlaub: gut so! Natürlich ist auch der alkoholfreie Apfelwein teurer als der Schoppen – na klar, denn das muss ja aufwendig sein, den ganzen Alkohol aus dem Bembel zu holen.

Diejenigen, die sich darüber wundern oder schlimmstenfalls sogar darüber echauffieren, dass gute Kellner in Sachsenhausen ein neues volles Glas auf den Tisch stellen, wenn sich das alte dem Ende neigt, outen sich als Touristen. Sachsenhausen folgt nämlich dem Prinzip der vorauseilenden Absage: Wer nicht laut zur Kenntnis gibt, dass er genug hat, ist allem Anschein nach noch durstig. Wer sich nicht blamieren möchte, sollte außerdem nicht so töricht sein, einen „Sauergespritzten“ zu bestellen – insinuiert er doch damit, dass es im Ausschank auch „Süßgespritzten“ gibt, was einer Beleidigung der Gaststätte gleichkommt. Und bei dieser Gelegenheit noch einmal zur Erinnerung: Bitte monieren Sie nicht, dass der Kellner die Gabel zum Handkäs vergessen hat. Die gehört in Sachsenhausen nämlich nicht zum Gedeck.

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Was in diesen Tagen, in denen im Supermarkt der Federweiße angeboten wird, durchaus schmerzt, ist, dass es immer weniger Lokale gibt, die im Herbst noch Rauscher servieren – also den sektähnlich perlenden braunen Sud zu Beginn der Gärung – ein ganz besonderer süß-saurer Genuss. Scheinbar haben Gastwirte mit dem Ausschank nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Denn erstens sorgt Rauscher dafür, dass mancher Gast zügig nach Hause eilt – schließlich ist seine verdauungsfördernde Wirkung berüchtigt. Und zweitens unterschätzen viele Gäste – wie bei Alcopops – die Tatsache, dass in dem süßen Spaß einige Promille stecken.