Kartellwächter blicken nachsichtiger auf M&A-Deals
Kartellwächter blicken nachsichtiger auf M&A
Beiderseits des Atlantiks schwächt sich die Fusionskontrolle ab. Dafür nimmt die Schärfe der Subventionsprüfung zu.
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Eine Handvoll Mega-Deals haben im Jahr 2024 die Bilanz von Bankern, Beratern und Wirtschaftsjuristen bei Fusionen und Übernahmen (M&A) in Deutschland deutlich aufgehübscht. So waren deutsche Unternehmen - als Käufer oder als Verkäufer - an Transaktionen im Wert von 150 Mrd. Dollar beteiligt. Das geht aus Daten der Investmentbank Goldman Sachs hervor. Das Volumen ist damit um die Hälfte größer als im sehr schwachen Vorjahr.
Wie es 2025 weiter geht, hängt auch davon ab, wie Europa politisch und regulatorisch auf die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten reagiert. „Ich bin der Meinung, dass wir einen neuen Ansatz für die Wettbewerbspolitik brauchen, der besser auf unsere gemeinsamen Ziele ausgerichtet ist und Unternehmen, die auf den globalen Märkten expandieren wollen, stärker unterstützt - und dabei stets für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgt“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Dokument, in dem sie ihr Programm im Europäischen Parlament vorstellte. „Dies sollte sich in der Art und Weise widerspiegeln, wie wir Fusionen bewerten." Seitdem werden die Zitate so interpretiert, dass die neue Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera ein Fusionsvorhaben wie das der Zughersteller Siemens und Alstom nicht mehr untersagen würde wie es ihre Vorgängerin im Amt Margrethe Vestager getan hat.
Die Telekommunikationsanbieter beispielsweise fordern seit langem einfachere Regeln für nationale Fusionen, da die EU-Wettbewerbshüter bisher Bedenken gegen Fusionen hatten, die die Zahl der Anbieter von vier auf drei reduzieren. Doch kürzlich durften Vodafone und Hutchison ihre Mobilfunksparten in Großbritannien zusammen legen, so dass es dort nur noch drei Anbieter gibt.
Mit einem Volumen von 15,8 Mrd. Dollar ist 2024 der Verkauf der Spedition Schenker die größte Transaktion. Die Deutsche Bahn hat dem dänischen Konkurrenten DSV den Zuschlag erteilt, der den Finanzinvestor CVC ausstach. Auch das Tauziehen um den Kunststoffkonzern Covestro ist beendet. Nach mehr als eineinhalb Jahren Verhandlungen legte der Öl-Riese Adnoc aus Abu Dhabi ein konkretes Angebot über 62 Euro je Aktie vor, das Covestro mit 14,3 Mrd. Dollar bewertete. Bisher sammelte Adnoc fast 70% der Covestro-Anteile ein. Und Siemens stemmte mit der 9,9 Mrd. Dollar schweren Übernahme des US-Industriesoftware-Unternehmens Altair den zweitgrößten Deal der Firmengeschichte, um das Angebot in der Automatisierungstechnik auszuweiten.
Mehr US-Deals
„Das Zusammentreffen mehrerer Faktoren wird 2025 voraussichtlich zu einem deutlichen Anstieg der Fusions- und Übernahmetätigkeit führen", glaubt Armin Falkenhayn, Deutschlandchef der Bank of America. „Bei mehr Optimismus zum wirtschaftlichen Ausblick vor allem in den USA und bei – noch – stabilen Zinsen streben Unternehmen Akquisitionen im Allgemeinen und besonders im stärker wachsenden US-Markt an.“ Umgekehrt locken laut Falkenhayn die niedrigen Bewertungen in Europa Kaufinteressenten. Auf beiden Seiten des Atlantiks seien die Kartellwächter nachsichtiger gestimmt als bisher. Hinzu kommen bei Finanzinvestoren rekordhohe Kapitalzusagen – das „Dry Powder“. Die Private-Equity-Firmen halten zugleich Tausende Unternehmensbeteiligungen, die längst schon hätten verkauft werden sollen. „Da parallel die Finanzierungsmärkte wieder gut funktionieren, kommt jetzt das Transaktionsgeschehen mit Schwung in Gang.“
Laut Holger Hofmeister, Partner bei Skadden hat sich der deutsche M&A-Markt „insgesamt weiter belebt, auch im großvolumigen Bereich, aber das Umfeld bleibt herausfordernd“. „Aktuelle politische Entwicklungen insbesondere in den USA und Deutschland und die in Deutschland herrschenden Arbeits- und Energiekosten sowie Regulierungen dürften dazu beitragen, dass Firmenübernahmen in Deutschland weiterhin eher selektiv und branchenspezifisch erfolgen.“
Nach Ansicht von Martin Neuhaus, Partner und Co-Leiter der Praxisgruppe Corporate der Kanzlei Noerr stehen viele Konzerne „im kommenden Jahr angesichts der geostrategischen Risiken und der Unsicherheiten im Vorfeld der Regierungswechsel in den USA und Deutschland unter verstärktem Anpassungsdruck, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten“. "Wir erwarten deshalb erhöhte M&A-Aktivitäten ebenso wie vermehrte Aktivitäten an den Kapitalmärkten in Form von Abspaltungen von Konzernteilen mit anschließender Notierung an Börsen.“ Ein Beispiel dafür ist die Abtrennung der Autoelektroniksparte vom Reifenhersteller Continental, für die der Aufsichtsrat gerade grünes Licht gegeben hat. Bei BASF wird derweil die Agrarchemie ausgegliedert und bei Thyssenkrupp ein Spin-off der Kriegsschiffsparte Marine Systems vorbereitet.
Insgesamt dauern M&A-Transaktionen immer länger. In Europa liegt das auch an der neuen Foreign Subsidies Regulation (FSR), die seit 2024 die Fusionskontrolle und die Investitionsprüfung ergänzt. „Das verursacht viel Aufwand bei den Unternehmen und dauert monatelang", sagt Jan Bonhage von der Kanzlei Hengeler. Mehr als 120 Transaktionen wurden per „pre-notification“ zur Kenntnis der Generaldirektion Wettbewerb gebracht, wovon mehr als 100 Transaktionen formell angemeldet und 90 Transaktionen freigegeben wurden.
Nur eine vertiefte FSR-Prüfung
Eine vertiefte Prüfung einer Transaktion auf Basis der FSR gab es laut Hengeler bisher nur einmal: der Erwerb von Telekommunikationsassets von dem tschechischen Konglomerat PPF durch e& (Emirates Telecommunications Group). Das Vorhaben wurde im September 2024 unter Auflagen freigegeben. Seit Mitte Oktober 2024 veröffentlicht die Kommission neu angemeldete Transaktionen in der Fallsuche auf ihrer Homepage. Der chinesische Haushaltsgerätehersteller Haier hat– soweit bekannt – als erstes chinesisches Unternehmen Anfang Oktober 2024 eine FSR-Freigabe erhalten - für den Erwerb des Kühlgeschäfts von Carrier.
Laut EU-Wettbewerbsbehörde gab es bei 213 öffentlichen Ausschreibungen 1.108 Anmeldungen mit Bezug zur FSR. Die EU ermittelte aus eigenem Entschluss, wenn sie Unterkostenangebote oder durch Subventionen ermöglichte Übernahmen erkannte. Vertiefte Prüfungen erfolgten in den Branchen Photovoltaik (Rumänien) und Güterlokomotiven (Bulgarien). Im letzteren Fall zog das chinesische Unternehmen das Gebot zurück. Zudem gab es eine Untersuchung im Vergabekontext: Chinesische Windturbinenhersteller boten für Windparks in Spanien.
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