Im Interview:Katja Patzel-Mattern und Raoul Haschke

„Heidelberg hat großes Potenzial"

In keiner deutschen Stadt sind zuletzt pro Kopf so viele Start-ups gegründet worden wie in Heidelberg. Die dortige Universität, ihres Zeichens älteste Uni Deutschlands, hat mit ihren Aktivitäten zur Gründungsförderung viel dazu beigetragen – und die Verantwortlichen noch einiges vor.

„Heidelberg hat großes Potenzial"

Im Interview: Katja Patzel-Mattern und Raoul Haschke

„Heidelberg hat großes Potenzial"

Gründungsaktivitäten der Universität Heidelberg machen die Stadt zum Start-up-Hotspot – Ruf nach neuen Investmentstrategien für DeepTech-Förderung

In keiner deutschen Stadt sind im vergangenen Jahr pro Kopf so viele Start-ups gegründet worden wie in Heidelberg. Die dortige Universität, selbst im Jahr 1386 gegründet und damit älteste Universität Deutschlands, hat mit ihren Aktivitäten zur Förderung wissenschaftlicher Ausgründungen einen maßgeblichen Anteil daran. Damit sich Deutschland auch finanziell als DeepTech-Standort behaupten kann, braucht es bei privaten Investoren oft noch ein Umdenken, sagen die Verantwortlichen.

Frau Prof. Patzel-Mattern, Herr Dr. Haschke, Heidelberg war im vergangenen Jahr laut dem Start-up-Verband die gründungsstärkste Stadt in Deutschland, gemessen an der Einwohnerzahl. Was sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Gründe, die dazu beigetragen haben?

Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern: In den vergangenen Jahren hat sich in Heidelberg ein Innovationsökosystem gebildet, mit vielen starken Partnern wie eben der Universität, aber auch weiteren Wissenschaftsinstitutionen und der Stadt selbst. Wir haben die Gründungsunterstützung an der Universität in den vergangenen Jahren neu aufgestellt und professionalisiert und ein Beratungsangebot geschaffen, das bei der Erstberatung für Gründungsinteressierte anfängt und die Gründer und Gründerinnen über verschiedene Phasen begleitet. Das zahlt sich aus.

Dr. Raoul Haschke: Das Ergebnis ist ja Folge einer langfristigen Entwicklung, denn wir sind seit fünf Jahren immer unter den Top 6 im Städteranking. Heidelberg ist eine sehr gründungsstarke Stadt und hat großes Potenzial. Mit unseren Aktivitäten wollen wir dieses Potenzial noch weiter heben und die Anzahl an Gründungen noch weiter erhöhen.

Zur Professionalisierung der Gründungsförderung hat die Uni Heidelberg unter anderem die Transferagentur hei_INNOVATION und die Patentverwertungsagentur ScienceValue ins Leben gerufen. Was sind die Hauptaufgaben dieser Einrichtungen?

Haschke: Die Transferagentur hei_INNOVATION hat das Ziel, das Wissen, das an der Universität generiert wird, für die Gesellschaft nutzbar zu machen. Zu diesem Zweck unterstützen wir unsere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Studierende bedarfsorientiert und mit zentralen Angeboten. Wir haben neben der individuellen Beratung zusätzlich ein Entrepreneurial Skills Zertifikat etabliert und organisieren vielfältige Veranstaltungen, um Gründungswillige zu vernetzen und auszubilden.

Patzel-Mattern: Die ScienceValue Heidelberg ist eine professionelle Patentverwertungsagentur. Sie bildet den kompletten Prozess der Be- und Verwertung von geistigem Eigentum ab. Als Tochter der Universität unterstützt sie Gründer im Anmeldeprozess für Patente. Patentrecht ist tatsächlich ein sehr komplexes Thema, bei dem die Universität schnell sein muss, denn Innovation hat immer eine Halbwertszeit. Wir müssen daher schauen, dass die Gründer mit ihren Produkten an den Markt kommen und Verwertungsrechte rechtzeitig und vor allem rechtssicher bereitgestellt werden. Als Bildungsinstitution sind wir hier in den vergangenen Jahren deutlich agiler geworden und werden uns zukünftig weiterentwickeln.

Gründer brauchen neben einer guten Idee vor allem Geld. Die Uni Heidelberg bietet hier Beratungsleistungen für die Förderungsbeantragung – gibt es daneben auch Aktivitäten zur Mobilisierung von privatem Kapital?

Haschke: Zunächst einmal: Private Investoren und Investorinnen wissen natürlich, dass es Förderprogramme des Bundes gibt und überlassen daher zur Risikominimierung die ganz frühen Phasen oft lieber dem Staat. Für jene, die bereits gegründet haben, haben wir mit der Stadt und weiteren Forschungseinrichtungen über den Heidelberg Startup Partners e.V., den BioRN e.V. und weiteren Partnern Netzwerkformate wie den jährlichen Life Science Investor Day entwickelt. Zusätzlich bieten wir über Online-Formate wie das Venture Capital Meet and Greet jeden Monat Möglichkeiten für Investoren, sich vorzustellen und mit Start-ups zusammenzutreffen. Für mehr private DeepTech-Förderung bräuchte es auf Seite der Investoren aber oft auch einfach einen längeren Atem. Die Entwicklungszeiten von Quanten-, Fusions- oder Medizintechnik entsprechen nun mal nicht den Laufzeiten von vielen Venture-Capital Fonds.

Patzel-Mattern: Wenn man den Voraussagen glauben darf, dass DeepTech der Zukunftsmarkt ist, dann kann man hier zumindest optimistisch sein, dass Investoren künftig mit angepassten Investitionsstrategien an den Markt gehen. Für uns als Universität ist es auf jeden Fall eine wichtige aber auch herausfordernde Aufgabe, private Kapitalgeber darüber zu informieren, wie sich Technologien entwickeln. Ein Ort, an dem wir das gut umsetzen können, ist unser Start-up-Hub, das wir demnächst eröffnen. Dort bieten wir ganz jungen Start-ups vergünstigte Büroräume, wo die Gründer Kontakte zu Investoren und Industrien knüpfen können.

Abgesehen von der Geldfrage – was hält Studenten bzw. Wissenschaftlerinnen sonst noch oft vom Gründen ab?

Patzel-Mattern: Da gibt es verschiedene Punkte. Oftmals fehlen Vorbilder oder sie sind nicht unmittelbar sichtbar. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Geschlechter. Durch weibliche Rollenmodelle wollen wir Frauen, die bisher unter den Gründern unterrepräsentiert sind, motivieren. Auch die soziale Herkunft spielt eine Rolle. Wir sehen, dass sich Menschen aus Unternehmerfamilien mit der Gründung eines Start-ups deutlich leichter tun als Menschen aus sozialen Schichten, in denen dieses Thema so gut wie keine Rolle spielt. Gerade in Deutschland kommt dann auch noch hinzu, dass Gründer schnell als „gescheitert“ gelten, wenn sie sich mit ihren Unternehmen nicht sofort durchsetzen. Dass im Scheitern aber auch eine Chance liegt, dass aus dem Scheitern für ein nächstes Mal gelernt werden kann, dafür braucht es noch mehr Verständnis.

Deutschland gilt generell als forschungsstarkes Land, das sich mit der Kommerzialisierung neuer Technologien aber schwertut. Stimmen Sie zu?

Patzel-Mattern: Es ist schon so, dass Geld sich die Innovation sucht. Und da, wo Geld vorhanden ist und es eine hohe Investitionsbereitschaft gibt, dort wird Innovation marktfähig gemacht. Global gedacht, ist das gut, weil Innovation so wirksam werden kann. Volkswirtschaftlich mag das für einzelne Länder aber eine Herausforderung sein. In Deutschland hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir die Gründungstätigkeit steigern müssen. Als Universität sehen wir unsere Aufgabe darin, wissenschaftliche Innovationen und akademisches Wissen, wo möglich, gesellschaftlich fruchtbar zu machen und damit auch einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung zu leisten. Dabei schafft erst die Grundlagenforschung die Basis für Innovationen. Universitäten müssen daher immer auch in der Lage sein, frei von Nützlichkeitserwägungen oder privatwirtschaftlichen Abhängigkeiten zu forschen und zu lehren.

Inwiefern forciert die Uni Heidelberg den internationalen Austausch rund um die Gründungsförderung?

Haschke: Wir haben als Universität Auslandsvertretungen in den USA, in Chile, in Indien und in Japan. Die USA sind natürlich immer noch der spannendste Ort, wenn es um Gründungen geht, wo man sehr viel lernen kann und wo wir uns auch eng vernetzen. Die anderen Standorte sind aber nicht weniger spannend: Start-up Chile ist eines der wichtigsten Ökosysteme in Südamerika. Indien ist die Start-up Nation der Zukunft, wo jetzt schon jedes Jahr Zehntausende von Start-ups gegründet werden. Japan schließlich hat ähnliche Strukturen und Herausforderungen wie Deutschland. Gemeinsam können wir uns weiterentwickeln.

Die Bundesregierung hatte sich mit der Startup-Strategie unter anderem das Ziel gesetzt, Ausgründungen aus der Wissenschaft zu erleichtern und die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Investoren und Unternehmen zu stärken. Welche Erwartungen haben Sie an die künftige Regierung? 

Patzel-Mattern: Zunächst einmal wünsche ich mir die Fortschreibung geplanter Programme wie der Startup Factories aus der Startup Strategie. Ich gehe aber fest davon aus, dass das kommt. Die WIN-Initiative ist ein wichtiger Baustein, um Kapital für wissenschaftsbasierte Gründungen zu mobilisieren. Da wir hier große Bedarfe sehen, wünsche ich mir eine nachhaltige Mobilisierung. Daneben braucht es für den gesamten Bereich des Transfers aus der Wissenschaft auch noch mehr langfristige Unterstützungsstrukturen. Aktuell gibt es vor allem projektfinanzierte Mittel, womit zwar viel angeregt werden kann, aber wodurch Wissen nach dem Ende einer Projektphase auch oft schnell wieder verloren geht.

Das Interview führte Karolin Rothbart.

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