Finanzmarktintegrität

Nicht zu Lasten rechtstreuer Unternehmen!

Der Gesetzgeber tut gut daran, die Finanzmarktintegrität zu stärken, doch der vorliegende Entwurf würde die Falschen bestrafen, schreibt Dr. Christine Bortenlänger vom Deutschen Aktieninstitut

Nicht zu Lasten rechtstreuer Unternehmen!

Am 12. Februar 2021 hat der Bundesrat seine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) verabschiedet. Im März beginnen die finalen Beratungen im Deutschen Bundestag. Damit geht die politische Aufarbeitung des Falls Wirecard in die entscheidende Phase.

Die Integrität des deutschen Finanzmarkts ist ein hohes Gut. Das Ziel des Gesetzgebers, diese zu stärken, ist richtig. Die regulatorischen Maßnahmen müssen allerdings zwei Bedingungen erfüllen, um positive Wirkung zu entfalten: Sie müssen betrügerischem Verhalten zielgerichtet entgegentreten und dürfen gleichzeitig keinesfalls gesetzeskonform agierende Unternehmen mit Überregulierung und unverhältnismäßigen Belastungen einschnüren. Der Entwurf wird diesen Anforderungen bisher an einigen zentralen Stellen noch nicht gerecht.

Vor allem im Bereich der Abschlussprüfung werden die negativen Auswirkungen des Gesetzesentwurfs auf die Praxis nicht ausreichend bedacht. Das weitreichende Verbot von Nichtprüfungsleistungen, die verpflichtende Prüferrotation nach zehn Jahren und die unbegrenzte Haftung der Prüfer bereits bei grober Fahrlässigkeit erhöhen den Aufwand für die Unternehmen, verstärken die ohnehin schon bestehende Konzentration im Prüfermarkt und beeinträchtigen die Prüfungsqualität. Bleibt es bei dem Maßnahmenpaket, droht eine erhebliche Störung der Funktionsfähigkeit des Marktes für Abschlussprüfungen.

Prüfungsgesellschaften werden sich im Zweifel aus dem Markt zurückziehen mit der Folge, dass sich die Auswahlmöglichkeiten für Unternehmen im ohnehin engen Prüfermarkt weiter verringern. Dies führt nicht nur zu höheren Prüfungskosten. Gerade große Unternehmen können, je nach Konstellation, sogar Schwierigkeiten haben, überhaupt noch einen Abschlussprüfer zu finden, der weltweit tätige Konzerne kompetent und unabhängig prüfen kann.

Außerdem können die geplanten Regelungen die strategische Fortentwicklung der Unternehmen behindern. Werden bestimmte Nichtprüfungsleistungen pauschal verboten oder – wo sie erlaubt sind – feste Obergrenzen eingezogen, kann ein Unternehmen den Abschlussprüfer unter Umständen nicht mehr mit Beratungsleistungen beauftragen. Das ist vor allem dann problematisch, wenn er über die beste Expertise verfügt und die Integrität der Abschlussprüfung durch die Beratungsleistung gar nicht gefährdet ist. Das kann zum Beispiel für Fälle wie die Erstellung und Durchsicht von Bilanzen bei Restrukturierungen, größere Kapitalmarktfinanzierungen oder die Abspaltung größerer Unternehmensteile gelten.

Das Hauptargument für das im Gesetzentwurf vorgeschlagene Maßnahmenpaket ist die Verhinderung von Interessenkonflikten bei den Abschlussprüfern. Doch gerade dafür gibt es im bestehenden Recht längst ausgewogene Lösungen. Dazu zählen die interne Rotation des verantwortlichen Abschlussprüfers nach sieben Jahren und die Pflicht zur Ausschreibung von Prüfungsmandaten nach zehn Jahren. Auch die bereits geltenden Höchstgrenzen für die Erbringung von Nichtprüfungsleistungen begrenzen die Gefahr möglicher Konflikte, ohne die notwendige Flexibilität der Unternehmen über Gebühr einzuschränken.

Statt weiter auf die erprobten, praxisgerechten Regelungen zu setzen, geht der Gesetzgeber sogar noch einen Schritt weiter. Er schlägt vor, den Abschlussprüfer gerichtlich zu ersetzen, wenn dieser auch nur minimal gegen den Katalog der unerlaubten Nichtprüfungsleistungen der EU-Abschlussprüfungsverordnung verstößt.

Das ist völlig unverhältnismäßig und kann dazu führen, dass einem Unternehmen mitten im Abschlussprüfungsprozess wegen eines Bagatellverstoßes ein neuer Prüfer zugewiesen wird. Die gravierende Folge könnte sein, dass der Abschluss nicht festgestellt und Gewinne nicht ausgeschüttet werden. Ein absurdes Ergebnis.

Vorschnell an den Pranger

Der Gesetzentwurf hat aber nicht nur die Abschlussprüfung im Blick, sondern will auch die Bilanzkontrolle reformieren. Zu begrüßen ist, dass die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) weiter eine wichtige Rolle im Bilanzkontrollverfahren spielen wird, indem sie Bilanzen stichprobenartig prüft.

Gleichzeitig wird die Position der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Bilanzkontrollverfahren gestärkt. Die BaFin ist künftig allein zuständig, Bilanzen anlassbezogen zu prüfen. Auslöser kann zum Beispiel negative Medienberichterstattung über ein Unternehmen sein. Daneben kann die BaFin Verfahren der DPR leichter an sich ziehen. Auch erhält sie weitgehende Ermittlungs- und Vernehmungsrechte gegenüber den Unternehmen.

Die Hürden für die Übernahme von Bilanzkontrollverfahren und für den Einsatz der weitreichenden hoheitlichen Mittel sind allerdings vergleichsweise niedrig. Es besteht damit die Gefahr, dass zu viele Unternehmen vorschnell wegen Betrugsverdachts an den Pranger gestellt werden – und sei es nur, weil sich die Behörde gegen den Vorwurf schützen will, nicht entschlossen genug gehandelt zu haben. Eine solche Kriminalisierung von Bilanzierungsfehlern gilt es zu vermeiden. Das Eingreifen der BaFin muss deshalb klarer auf die sehr wenigen potenziellen Betrugsverdachtsfälle beschränkt werden.

Nachbesserungen angehen

Insgesamt fehlt es dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Finanzmarktintegrität noch an Zielgenauigkeit und Verhältnismäßigkeit. Der Bundestag ist jetzt gefordert nachzusteuern. Er sollte sich dabei vor allem zwei Fragen stellen: Welche der vorgeschlagenen Maßnahmen hätten einen Fall wie Wirecard verhindert? Und: Welche Mehrbelastungen verursachen die Regelungen für die rechtstreuen Unternehmen in Deutschland – gegebenenfalls ohne entsprechenden Mehrwert?