Chancen für von der Leyen steigen
Unmittelbar vor der ersten Besprechung der 27 Staats- und Regierungschefs der EU nach den Europawahlen darf sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Hoffnungen auf Unterstützung der Premiers für eine weitere Amtszeit an der Spitze der EU-Behörde machen. Bundeskanzler Olaf Scholz befeuerte nach dem G7-Gipfel im italienischen Bari Spekulationen, dass es bereits am Montagabend zu einer Verständigung im Kreis der nationalen Regierungschefs kommen könnte, von der Leyen als erneute EU-Kommissionspräsidentin vorzuschlagen. „Es wird schnell Entscheidungen geben“, erklärte Scholz in einem Interview gegenüber der „Welt“. Nach dem Ausgang der Europawahlen „spricht alles dafür“, dass von der Leyen als EU-Kommissionschefin bestätigt werde.
Allerdings braucht die 65 Jahre alte Christdemokratin dann noch eine Mehrheit im EU-Parlament. Scholz bekräftigte die Mahnung der Sozialdemokraten, die die zweitgrößte Fraktion im EU-Parlament stellen, dass die S&D-Parteienfamilie die ehemalige Bundesministerin nur unterstützen werde, wenn von der Leyen nicht gleichzeitig versuche, Stimmen von Giorgia Melonis rechtskonservativer Partei (Fratelli d´Italia) für sich zu gewinnen, sondern sich klar von den Parteien rechts der Mitte distanziere. Er empfehle ihr, sich von den „traditionellen Parteien“ wählen zu lassen, sagte Scholz – und ergänzte, dass dies auf Basis des Wahlergebnisses ja durchaus möglich sei.
Wenige Stunden vor der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs beim informellen EU-Gipfel in Brüssel wurden dem früheren portugiesischen Ministerpräsidenten António Costa, ein 62 Jahre alter Sozialdemokrat, die größten Chancen für das Amt des EU-Ratspräsidenten als Nachfolger des Belgiers Charles Michel eingeräumt. Costa war wegen Vorwürfen der Korruption vom nationalen Spitzenposten zurückgetreten. Die Anschuldigungen hatten sich später als nichtig erwiesen.
Für das Amt der Hohen Beauftragten der Sicherheits- und Außenpolitik, das aktuell vom Spanier Josep Borrell wahrgenommen wird, gilt die estnische Premierministerin Kaja Kallas, eine Liberale, als aussichtsreiche Kandidatin. Die 46-jährige Tochter des früheren EU-Kommissars Siim Kallas ist für ihren harten Kurs gegenüber Russland bekannt. Als künftige EU-Parlamentspräsidentin wird die bisherige Amtsinhaberin, die 45 Jahre alte christdemokratische Malteserin Roberta Metsola, gehandelt.
Das Personal-Quartett, dem aktuell von Diplomaten gute Chancen beigemessen werden, hätte den Vorteil, dass es alle Bedingungen an eine ausgewogene Besetzung – Nord/Süd, Christdemokraten/ Sozialdemokraten/Liberale, Mann/Frau – erfüllt.