Europas Aktienmärkte auf Erholungskurs
Positive Vorgaben aus den USA und Asien haben den deutschen Aktienmarkt am Montag weiter hochgetrieben. Der Dax knüpfte an seinen starken Wochenausklang an und gewann bis zur Mittagszeit 1,67% auf 13.307 Punkte. Der MDax der mittelgroßen Werte stieg um 1,82% auf 26.168 Punkte, während der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 um 1,5% Prozent zulegte. „Der Fakt, dass der Dax am Freitag über der psychologisch wichtigen Marke von 13.000 Punkten geschlossen hat, überstrahlt alle Risiken und Belastungsfaktoren und flößt den Börsianern neuen Mut ein“, kommentierte sich Portfolio-Manager Thomas Altmann von QC Partners. Die „falkenhaften Kommentare der Notenbanker“, jene also, die eine straffe Geldpolitik befürworten, ließen die Aktienanleger im Moment erstaunlich kalt. Dabei verwies Altmann auf weitere Zins-Aussagen aus den USA und Deutschland übers Wochenende.
„Bei der Fed scheint ein erneuter Zinsschritt um 75 Basispunkte mittlerweile ausgemachte Sache zu sein. Hierzulande sprach sich Bundesbank-Präsident Joachim Nagel für eine deutlich restriktivere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) im Falle anhaltend hoher Inflation aus.“ So will die EZB sich bei ihrem Kampf gegen die rekordhohe Inflation nach Worten von Nagel nicht von den trüben Wirtschaftsaussichten beirren lassen. Es sei nicht auszuschließen, dass es geringere Wachstumsraten oder eine Rezession geben werde, sagte das EZB-Ratsmitglied am Sonntag im Deutschlandfunk.
Neben Altmann sprach auch Jürgen Molnar, Kapitalmarktstratege bei Robomarkets von einer technischen Erholung, die „fundamental nur schwer zu erklären ist“. Sollten die in dieser Woche anstehenden US-Verbraucher- und Erzeugerpreise keine Störfeuer auslösen, „könnte sich die technische Erholung bis zum Freitag, dem großen Verfallstag für Aktien und Optionen an der Terminbörse, fortsetzen.“
Ifo erwartet tiefe Rezession
Negativ dürfte sich allerdings nach und nach die Erkenntnis an den Märkten auswirken, dass die anstehende Rezession womöglich tiefer und länger ausfällt als bisher antizipiert. Das Ifo-Institut hat seine erst drei Monate alten Konjunkturprognosen für das kommende Jahr wegen der Energiekrise bereits drastisch korrigiert. Demnach werden die Verbraucherpreise statt der bislang erwarteten 3,3 um 9,3% steigen, wie die Münchner Forscher am Montag mitteilten. Beim Bruttoinlandsprodukt wird nun für 2023 anstelle eines Wachstums von 3,7% ein Schrumpfen von 0,3% vorhergesagt. „Die Kürzungen der Gaslieferungen aus Russland im Sommer und die dadurch ausgelösten drastischen Preissteigerungen verhageln die wirtschaftliche Erholung nach Corona“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
Das ist auch schon im laufenden Jahr zu spüren. Hier setzten die Ökonomen ihre Inflationsprognose von 6,8 auf 8,1% herauf, die für das Wirtschaftswachstum dagegen von 2,5 auf 1,6% herunter. „Erst 2024 erwarten wir eine Normalisierung mit 1,8% Wachstum und 2,5% Inflation“, sagte Wollmershäuser.
Eine besonders schwierige Zeit erwartet das Ifo-Institut in den kommenden Monaten. „Wir gehen in eine Winter-Rezession“, erwartet der Ifo-Konjunkturchef. Die Energieversorger passen demnach vor allem zu Jahresbeginn 2023 ihre Strom- und Gaspreise spürbar an die hohen Beschaffungskosten an. Das werde die Inflationsrate im ersten Quartal des kommenden Jahres auf etwa 11% hochtreiben. Damit gingen die realen Haushaltseinkommen kräftig zurück und die Kaufkraft sinke spürbar, was den privaten Konsum belasten dürfte. Das kürzlich verabschiedete dritte Entlastungspaket der Regierung werde diesem Rückgang zwar etwas entgegenwirken, ihn aber bei weitem nicht ausgleichen.
Der Kaufkraftverlust, gemessen am Rückgang der realen Pro-Kopf-Löhne, dürfte in diesem und im kommenden Jahr bei jeweils etwa 3% liegen. Das wären die höchsten Werte seit Beginn der Statistik 1970. Im weiteren Verlauf des kommenden Jahres dürfte sich der Preisanstieg allmählich abschwächen – vorausgesetzt, im Winter steht genügend Gas zur Verfügung. Dann sollten die Energiepreise nicht weiter steigen und spätestens ab dem Frühjahr 2023 wieder sinken.
Hellofresh unter Druck
Unter den Einzelwerten rückten im Dax vor allem Hellofresh, Henkel sowie Volkswagen und Porsche in den Blick. Zu Hellofresh verwiesen Händler darauf, dass am Samstag eine US-Behörde eine Gesundheitswarnung für bestimmte Hackfleischpakete in Hellofresh-Mahlzeitensets herausgegeben hatte, die im Juli versandt wurden. Das Papier des Kochboxen-Lieferanten büßte als Dax-Schlusslicht 2,0% ein. Die Aktie muss nach dem großen Verfallstermin in zwei Wochen zudem den deutschen Leitindex verlassen und steigt in den MDax ab.
Die Henkel-Vorzugsaktie legte mit plus 1,1% unterdurchschnittlich zu. Zwar sind hohe Zusatzkosten in diesem Jahr nichts wirklich Neues für große Teile der deutschen Industrie, doch Henkel-Vorstandschef Carsten Knobel machte deutlich, wie stark diese für den Konsumgüterkonzern ins Gewicht fallen. Wegen steigender Preise für Rohstoffe und Logistik laufe die Belastung „auf 2 Mrd. Euro Mehrkosten hinaus“, sagte Knobel dem „Focus“. In den zehn Jahren zuvor habe der „Gegenwind“ im Schnitt jährlich 100 Mill. Euro betragen.
Zu den gefragten Werten im Dax zählten dagegen das Papier der VW-Beteiligungsgesellschaft Porsche SE mit plus 2,7% sowie die VW-Vorzugsaktie selbst. Sie stieg um 2,2%. Lutz Meschke, Finanzchef des Sportwagenbauers Porsche AG hatte der italienischen Tageszeitung „Il Sole 24 Ore“ gesagt, dass die Porsche AG „so früh wie möglich“ für den geplanten Börsengang bereit sein wolle, da das Interesse der Investoren groß sei.
Unter den kleineren Werten außerhalb der Dax-Familie sprang die Aktie von Bertrandt um 3,8% hoch. Sie profitierte davon, dass Analyst Sven Sauer von Kepler Cheuvreux das Papier um gleich zwei Stufen, von „Reduce“ auf „Buy“, hochgestuft hat. Er sprach von soliden und recht widerstandsfähigen Marktaussichten des Engineering-Dienstleisters.
Der Euro legt wieder zu
Der Euro steuert mit einem Plus von 1,6% auf den größten Tagesgewinn seit einem halben Jahr zu. Der europäische Erdgas-Future fiel dagegen zeitweise um 6% auf 190,50 Euro je Megawattstunde. „Die Situation zwischen Russland und der Ukraine gibt dem Markt einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass es eine Lösung geben könnte, die die Intensität des Energieschocks etwas abschwächt“, sagte Portfoliomanager Hani Redha vom Vermögensverwalter PineBridge.
Die Ukraine weitet eigenen Angaben zufolge ihre Offensive im Großraum Charkiw im Nordosten des Landes aus. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj pries den russischen Rückzug aus der Stadt Isjum gut 120 Kilometer südöstlich von Charkiw als Durchbruch in dem seit sechs Monaten andauernden russischen Angriffskrieg.