Zwischen Kriegs- und Zinsängsten
Am deutschen Aktienmarkt haben sich am Mittwoch die Kursgewinne für den Dax aus dem frühen Handel aufgelöst. Gegen Mittag notierte der deutsche Leitindex mit plus 0,05% beim Stand von 15.405 Punkten. Nach der Erleichterung über die einstweilige Entspannung im Ukraine-Konflikt rückten die Zinssorgen wieder etwas stärker in den Blick. Am Abend steht die Veröffentlichung des Protokolls der letzten US-Notenbanksitzung auf dem Programm, von dem Marktteilnehmer weitere Hinweise auf den geldpolitischen Straffungskurs erwarten.
Der MDax der mittelgroßen Werte legte zuletzt noch um 0,34% auf 33.580 Punkte zu.
Die Angst vor einem unmittelbar bevorstehenden Einmarsch Russlands in die Ukraine hatte am Vortag nachgelassen. Russlands Truppen zogen sich laut Darstellung Moskaus teilweise von der Grenze etwas zurück. Die Nato will das aber noch nicht bestätigen und sieht offenbar diesbezüglich keine Anzeichen. Trotz der Entspannungssignale blieben auch jetzt noch die Risiken an den Märkten eingepreist, sagte der Chefstratege der Privatbank Merck Finck, Robert Greil. Im Falle einer Verschärfung oder sogar einer Invasion Russlands rechnet er zunächst mit zunehmenden Schwankungen, wobei es auf den Eintritt geopolitischer Risiken in der Vergangenheit oft zu Markterholungen gekommen sei.
Die Berichtssaison geht weiter
Am deutschen Aktienmarkt ging die Berichtssaison weiter mit Jahreszahlen des Triebwerkherstellers MTU. Experten lobten die Gewinnentwicklung im Schlussquartal. Den Ausblick auf 2022 bestätigte der Konzern. Unter den Favoriten im Dax gewannen die Papiere gegen Mittag noch 1,6%.
Bei den Aktien von Delivery Hero halten die kräftigen Kursbewegungen an. Nach der 15-prozentigen Erholung am Vortag verloren die Anteile des Essenslieferdienstes als Schlusslicht im Dax 5,9%. In der Vorwoche hatte der Konzern mit einem schwachen Ausblick einen Kursrutsch ausgelöst.
Die Titel des Flughafenbetreibers Fraport legten im MDax nach einer Kaufempfehlung der Bank of America um 4% zu. Ein weiteres Rekordhoch erreichten die Titel des Kupferkonzerns Aurubis, zuletzt gewannen sie 2,9%.
Die Aktien des Autozulieferers und Verbindungstechnikherstellers Norma Group legten im Nebenwerteindex SDax um 5,9% zu. Das Umsatzwachstum aus eigener Kraft sei stark ausgefallen, erst recht, wenn man sich die enttäuschende Entwicklung der europäischen Automobilbranche im Schlussquartal vor Augen halte, schrieb Analyst Peter Rothenaicher von der Baader Bank.
Zurückhaltung an Europas Börsen
Die europäischen Börsen haben am Mittwoch verhalten tendiert. Trotz guter Vorgaben kamen sie kaum voran. Der EuroStoxx 50 kletterte am späten Vormittag lediglich um 0,1% auf 4145 Punkte. Der französische Cac 40 trat unterdessen mit 6978 Punkten auf der Stelle und der britischen FTSE 100 verlor 0,18% auf 7595 Punkte. In Großbritannien war die Inflationsrate zu Jahresbeginn auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren gestiegen. Im Januar legten die Verbraucherpreise im Jahresvergleich um 5,5% zu, wie das nationale Statistikamt ONS mitteilte. Das war der vierte Anstieg im Jahresvergleich in Folge und die höchste Rate seit März 1992.
„Die Erholung nach den Entspannungssignalen im Ukraine-Konflikt hat zwar einmal mehr gezeigt, dass politische Börsen kurze Beine haben. Für die Geldpolitik gelten diese Regeln aber nicht. Mit jeder Entspannung an der geopolitischen Front rücke wieder das Inflations- und Zinsthema zurück in den Fokus der Investoren“, stellte Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets fest. Daher sei Vorsicht weiterhin angesagt. „Hier dürften vor allem institutionelle Anleger dem Markt so lange noch fernbleiben, bis etwas mehr Klarheit über den zukünftigen geldpolitischen Pfad nicht nur in den USA, sondern auch in der Eurozone besteht“, so Molnar.
Die Aussagen der Europäischen Zentralbank zu einem strikteren geldpolitischen Kurs waren zwar bisher zurückhaltender als die der US-Notenbank, doch Axel Botte, Marktstratege beim französischen Investmenthaus Ostrum Asset Management, geht auch hier von Unwägbarkeiten aus: „Die Büchse der Pandora ist geöffnet und alle möglichen Fragen über den Zeitpunkt der Beendigung der Ankäufe von Vermögenswerten, die Reinvestitionspolitik oder das Ausmaß der Zinserhöhungen stehen nun zur Debatte.“
Energiesektor legt nach schwachem Vortag zu
An den Börsen war erneut eine Sektorenrotation zu beobachten. Gehörten Rohstoff- und Ölwerte am Vortag zu den schwächsten Branchen, lagen sie nun wieder vorne. Die Ölpreise hatten sich nach den starken Vortagesverlusten stabilisiert. Langfristig gestalten sich die Aussichten ohnehin positiv. „Das Bevölkerungswachstum, die zur Dekarbonisierung benötigte Infrastruktur und der steigende Lebensstandard sind Nachfragetreiber für Energie, Metalle und Düngemittel in den nächsten Jahrzehnten“, so Rohstoff-Analyst Daniel Briesemann von der Commerzbank.
Chemiewerte lagen ebenfalls gut im Rennen. Hier waren Air Liquide gesucht. Der französische Gasehersteller legte nicht nur gute Zahlen für das vergangene Jahr vor. Dank der weltweiten Konjunkturerholung will der Konzern auch in diesem Jahr noch einmal mehr verdienen. Das Schlusslicht am Sektorenzug waren unterdessen die Telekommunikationstitel. Der schwedische Netzwerkausrüster Ericsson hatte Vergehen gegen die eigenen Geschäftsgrundsätze und mögliche Schmiergeldzahlungen im Irak eingestanden. Ungewöhnliche Zahlungen zurück bis zum Jahr 2018 hätten eine interne Untersuchung ausgelöst, die Bedenken hinsichtlich der Führung der Geschäfte im Irak hervorgebracht hätten, teilte das Unternehmen mit. Ericsson fielen um über 7%.
Mäßig entwickelten sich auch die Einzelhandelswerte. Hier war Ahold Delhaize der Spielverderber. Der niederländische Handelskonzern hatte 2021 zwar deutlich mehr verdient, bleibt aber für das laufende Jahr vorsichtig. Anleger ließen darauf hin ebenfalls Vorsicht walten und verkauften die Aktie, die um 5,5% fiel.