Luftfahrt

Air-Baltic-Chef spürt die Folgen des Krieges

Die Fluggesellschaft Air Baltic, die Martin Gauss seit Ende 2011 führt, hat sich vom Russlandgeschäft verabschiedet. Ein IPO steht frühestens 2024 an.

Air-Baltic-Chef spürt die Folgen des Krieges

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Kürzlich war Martin Gauss für 24 Stunden in München. Die bayrische Metropole ist von der Ukraine viel weiter entfernt als die lettische Hauptstadt Riga, wo der deutsche Airline-Manager seit mehr als zehn Jahren arbeitet. Zwar gibt es Unterschiede – „in Riga begegnen einem die ukrainischen Farben Blau und Gelb derzeit häufiger und es gibt Fahnen des Landes an allen Firmen“ –, aber alles in allem nimmt auch in Lettland das Leben trotz der räumlichen Nähe zum Kriegsgebiet seinen normalen Lauf, wie Gauss im Gespräch mit der Börsen-Zeitung berichtet.

Kein Ukraine-Geschäft mehr

Das Land orientiert sich wie die anderen baltischen Staaten seit mehr als 30 Jahren in Richtung Westen und ist Mitglied der Nato, allerdings ist man historisch eng mit dem derzeitigen Aggressor Russland verbunden. Die Fluggesellschaft Air Baltic, die Gauss seit Ende 2011 führt, war daher vor dem Krieg in der Ukraine auch in Richtung Russland aktiv, hat sich von diesem Geschäft aber nun komplett verabschiedet. Etwa 2,7% des Umsatzes hätte das Geschäft von und nach Russland den Planungen zufolge in diesem Jahr ausgemacht, rund 6,8% der Erlöse wären auf das Ukraine-Geschäft entfallen. Derzeit ist Air Baltic dabei, die frei gewordenen Kapazitäten neu zu verteilen. So wurde zuletzt mitgeteilt, dass von Mai an neue Linienflüge zwischen Hamburg und Vilnius (Litauen) aufgenommen werden. „Wir haben in den zwei Jahren Corona-Pandemie viel Erfahrungen mit kurzfristiger Planung gesammelt“, sagt Gauss.

Der Krieg hat für das Unternehmen, das nach einer Kapitalerhöhung während der Corona-Pandemie fast vollständig in Staatsbesitz ist, aber noch andere Folgen als den Ausfall des Russland- und Ukrainegeschäfts. Die Luftraumsperrungen sorgen auch dafür, dass für manche Verbindungen „Riesenumwege“ geflogen werden müssen, etwa zwischen Riga und Dubai oder auf dem Weg nach Tiflis in Georgien. Das verlängert Flugzeiten und erhöht Kosten, macht aber auch die Netzwerkplanung schwierig. Zudem beobachten Gauss und sein Team wie andere Airline-Manager auch eine Zurückhaltung bei den Buchungen. „Derzeit liegen wir da bei 24% weniger als ursprünglich geplant, die Leute warten erst einmal ab, was passiert.“

IPO frühestens 2024

Gauss, der den Turnaround der Air Baltic einmal als seinen größten Erfolg bezeichnet hat, kennt die Luftfahrtbranche aus dem Effeff. Um Pilot zu werden, hat er einst sein Wirtschaftsstudium geschmissen. Begonnen hat der heute 53-Jährige seine Karriere 1992 als Flugzeugführer bei der British-Airways-Tochter Deutsche BA. Später stieg er dort in die Geschäftsführung auf. Nach der Integration von DBA in Air Berlin verließ Gauss das Unternehmen kurz darauf nach 15 Jahren. Er wurde Geschäftsführer bei der Cirrus Group und anschließend zwischen 2009 und 2011 Chef der ungarischen Fluggesellschaft Malev. Von dort ging es dann nach Riga zur Air Baltic. Dort trieb er unter anderem die Vereinheitlichung der Flotte voran, um die Kostenstrukturen zu verschlanken.

Tatsächlich sei sein Job bei Air Baltic nur für eine kurze Zeit gedacht gewesen. „Nach dem erfolgreichen Turnaround schreibt Air Baltic Wachstumsgeschichte. Diese Entwicklung hielt neue spannende Aufgaben für mich bereit“, begründete er einmal die längere Verweildauer. Und die nächsten Projekte stehen bereits auf der Agenda. Kapazität und Auslastung haben noch nicht wieder Vor-Pandemie-Niveau, der Krieg in der Ukraine erschwert die Situation zusätzlich. Und dann muss noch der staatliche Eigentümer über ein IPO seine Beteiligung zurückfahren – so sehen es die EU-Vorgaben für die Corona-Staatshilfen vor. „Frühestens für 2024“ sei das IPO geplant, sagt Gauss. Ob der Staat anschließend Mehrheitsaktionär ist oder in eine Minderheitsposition geht, ist noch unklar.

Ein Unterschied zwischen Riga und München fällt Gauss am Ende des Gesprächs noch ein: „In Deutschland wird grade Sonnenblumenöl und Mehl gehamstert, in Lettland kaufen alle Salz.“