Großbritannien

Aus dem Dschungel­camp in den Kulturkampf

Für Unterhaltung ist gesorgt: Nadine Dorries wird als Kultusministerin kein Blatt vor den Mund nehmen. In der Kulturszene rümpft man die Nase, denn die Gesamtschülerin gehört einfach nicht dazu.

Aus dem Dschungel­camp in den Kulturkampf

Von Andreas Hippin, London

Nadine Dorries (64) ist die erste Bestsellerautorin, die in Großbritannien Kulturministerin geworden ist. Dennoch rümpft man in der Londoner Kulturszene die Nase über ihre Ernennung, denn die ehemalige Dschungelcamp-Insassin gilt als Vorkämpferin im „War on Woke“ – dem Versuch der Tories, den Einfluss von Linken, Alternativen und Vertretern der Gegenkultur auf Institutionen wie die BBC zurückzudrängen. Dorries, die sich einmal als „Bridget Jones von Westminster“ bezeichnete, stammt, anders als viele ihrer Gegner, aus einem Sozialwohnungsviertel. Sie wuchs in Liverpool auf, ihr Vater war Busfahrer. Nicht immer gab es genug zu essen. Statt auf eine teure Privatschule ging sie auf eine Gesamtschule und wurde danach Krankenschwester. Ein Jahr verbrachte sie als Schulleiterin in Sambia. Eigentlich wollte sie Labour-Mitglied werden. Aber ihr missfiel die Kritik von Tony Blair am „Right to Buy“-Programm von Margaret Thatcher, dass es Sozialmietern ermöglichte, zu Wohneigentum zu kommen. Dorries’ Mutter hatte davon Gebrauch gemacht. Es mag an diesem Werdegang liegen, dass sie nicht viel für die Argumente von Salonlinken übrighat.

Vor 20 Jahren kandidierte sie erfolglos bei den Parlamentswahlen für die Konservativen. Danach machte sie als Beraterin von Oliver Letwin Karriere, der im Falle eines Wahlsieges anstelle von Gordon Brown Schatzkanzler geworden wäre, und organisierte dessen PR. 2005 wurde sie für den Wahlkreis Mid Bedfordshire ins Unterhaus gewählt, ein Sitz, den sie seitdem stets verteidigt hat, zuletzt mit einer Mehrheit von 24 000 Stimmen. Nun gehört nicht nur die Höhe der Rundfunkgebühren und damit die Finanzausstattung der BBC zu ihrem Aufgabenbereich, sondern auch die Frage, ob der Fernsehsender Channel 4 privatisiert werden soll. Auch die Ernennung des nächsten Chefs der Rundfunkregulierungsbehörde Ofcom ist ihre Sache.

„Wir werden Spaß haben“

„Manche Leute waren ein bisschen aus der Fassung gebracht, was ihre Eignung für das Amt angeht“, zitiert die BBC einen Tory-Abgeordneten, der nicht namentlich genannt werden wollte. „Wir werden Spaß haben.“ Dafür hat Dorries eigentlich immer gesorgt. Für die Channel-4-Reality-Serie „Tower Block of Commons“ zog sie in einen heruntergekommenen Sozialwohnungsblock in South Acton im Londoner Westen. Dort sollte sie versuchen, mit 64,30 Pfund durch die Woche zu kommen, dem Äquivalent der britischen Arbeitslosenhilfe. Nach der ersten Nacht stellte sich allerdings heraus, dass sie einen 50-Pfund-Schein in ihrem BH versteckt hatte. Im Dschungelcamp verdrückte sie vor laufender Kamera eine Kamelzehe und den Schließmuskel eines Straußen. Einer ihrer Spitznamen in Westminster ist „Balls of Steel“, denn Dorries lässt sich nicht den Mund verbieten. Sie warf John Bercow schon vor dessen Wahl zum Speaker des Unterhauses Opportunismus und Illoyalität vor. David Cameron und George Osborne nannte die Mutter dreier Töchter „zwei arrogante feine Jungs, die nicht wissen, was ein Liter Milch kostet“. Ihr Roman über das Liverpool der 1950er Jahre wurde als E-Book zum Bestseller. Die meisten Feuilletonisten hassten ihn erwartungsgemäß.