Nord Stream 2

„Bidens Mann“ für die Energiepolitik

Es mag die überraschendste und auf den ersten Blick widersprüchlichste Personalentscheidung sein, die US-Prä­sident Joe Biden seit seinem Amtsantritt getroffen hat. Die Umsetzung der mit Bundeskanzlerin Angela Merkel getroffenen Vereinbarung über...

„Bidens Mann“ für die Energiepolitik

Von Peter De Thier, Washington

Es mag die überraschendste und auf den ersten Blick widersprüchlichste Personalentscheidung sein, die US-Prä­sident Joe Biden seit seinem Amtsantritt getroffen hat. Die Umsetzung der mit Bundeskanzlerin Angela Merkel getroffenen Vereinbarung über das umstrittene Projekt Nord Stream 2 will der Präsident dem 48-jährigen Lobbyisten Amos Hochstein anvertrauen, der bisher zu den vehementesten Gegnern der Ostsee-Pipeline zählte.

Hochstein hat in Washington eine Karriere als Berater und Lobbyist gemacht, der die kniffligsten Aufgaben annahm, zahlreiche Senatoren beriet und von 2011 bis 2017 dem damaligen Vizepräsidenten Biden als „Top-Energiediplomat“ der Obama-Regierung zur Seite stand. 2017 trat er dem Vorstand des US-Erdgaskonzerns Tellurian bei, den Hochstein mittlerweile wieder verlassen hat.

Oft reiste er in seiner Funktion als Biden-Berater über den Atlantik, um europäischen Regierungen bei der Sondierung neuer Energiequellen zu helfen und somit deren Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen zu verringern. „Europäische Länder sollten frei ihre Energielieferanten aussuchen können, das ist gut für die Wirtschaft und wichtig für die nationale Sicherheit“, sagte er damals als Biden-Vertrauter, der sich bemühte, Nord Stream 2 zu torpedieren.

Er spielte eine zentrale Rolle bei der Planung von Luftangriffen gegen Ölleitungen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Hochstein half, das Verhältnis zwischen Israel und der Türkei zu kitten, und bestritt energisch, dass die Türkei sich illegal vom IS mit Öl habe beliefern lassen. Auch ist er häufig in den Nahen Osten und selbst nach Nordkorea gereist, um Deals zu vermitteln und sicherzustellen, dass Öl- und Erdgasexporte ausnahmslos auch Sicherheitsinteressen der USA dienen.

Fokus auf Nord Stream 2

Sein Fokus konzentriert sich nun auf die Einigung, die Biden und Merkel Mitte Juli in Washington getroffen hatten. Demnach akzeptiert das Weiße Haus die Fertigstellung der Pipeline. Im Gegenzug muss die Bundesregierung Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn der Kreml Energielieferungen als Waffe einsetzt, um Nachbarländer unter Druck zu setzen, und auch sicherstellen, dass die Ukraine Transitgebühren erhält.

Experten in Washington sind deswegen skeptisch, weil Hochstein bisher ein ausgewiesener Gegner von Nord Stream 2 war. Der Lobbyist, der in Washington als „Bidens Mann“ bezeichnet wird, genießt nämlich in Regierungskreisen und auf dem Kapitolshügel hohes Ansehen und hat sich im Laufe der Jahre den Respekt einflussreicher Politiker erworben, speziell in energiepolitischen Fragen.

„Mein Verdacht ist, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver seitens des Präsidenten handelt“, sagte ein ranghoher Regierungsmitarbeiter, der nicht namentlich zitiert werden sollte. „Hochsteins Ernennung soll in Wirklichkeit kaschieren, wie schlecht der mit Berlin getroffene Deal tatsächlich ist, für Deutschland und die USA.“ Hochsteins Berufung stößt folglich im Kongress auf teilweise harte Kritik, sowohl bei Republikanern als auch Demokraten, die sich gegen Nord Stream 2 ausgesprochen haben. Das aber interessiert den Präsidenten nicht. Anders als bei Botschaftern und anderen hohen Positionen setzt die Entsendung eines Sonderbeauftragten nämlich keine Zustimmung des Senats voraus.

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