Marktführer mit Live-Offensive

Co-Chefs führen Netflix in neue Ära

Bei Netflix funktioniert die Doppelspitze aus Ted Sarandos und Greg Peters bislang entgegen aller Erwartungen. Doch die Co-CEOs stehen vor ihrer wohl größten Herausforderung.

Co-Chefs führen Netflix in neue Ära

Co-Chefs führen Netflix in neue Ära

Von Alex Wehnert, New York

Das ungewöhnliche Arrangement an der Spitze von Netflix löst zu Beginn Unkenrufe aus. Die Co-Chefs Ted Sarandos und Greg Peters, die den Streaming-Marktführer seit Anfang 2023 gemeinsam führen, seien einfach zu unterschiedlich, bemängeln Investoren damals. Der Kontrast ihrer Persönlichkeiten werde zu Verwirrung und massiven Reibungsverlusten führen, und überhaupt habe das Modell mit zwei CEOs kaum jemals funktioniert. Firmen wie Salesforce und Oracle hätten es ausprobiert und schnell wieder verworfen. Doch Netflix hat mit der selten kopierten Führungsstruktur bislang Erfolg.

Gewaltiges Nutzerwachstum

Die Zeiten, in denen das Unternehmen wie im ersten Halbjahr 2022 in großem Stil Abonnenten an neue Rivalen verlor, sind lange vorbei. Allein im Schlussquartal 2024 gewann Netflix 18,91 Millionen Kunden hinzu und damit nicht nur fast doppelt so viele wie an der Wall Street erwartet, sondern auch mehr als während der Corona-Hochphase 2020.

Bei Aktionären wurde darauf allerdings die Befürchtung wach, dass der Abonnentenzuwachs nur auf der Nachfrage nach einer kleinen Zahl neuer Inhalte basierte und damit nicht nachhaltig sei. Peters moderierte solche Bedenken unvermittelt ab und machte deutlich, dass sich der Streaming-Primus stark genug für neuerliche Preiserhöhungen fühlt. Um das Wachstum wie erhofft fortsetzen zu können, muss die Netflix-Führung laut Kennern der Medienbranche aber ganz unterschiedliche Qualitäten vereinen.

Co-CEO Greg Peters trifft seine Entscheidungen für Netflix gern datengetrieben. Foto: CraSH/imageSPACE/Sipa USA.

Dabei kommt dem Unternehmen die Doppelspitze zupass. Sarandos, der seine Ausbildung am Community College von Glendale, Arizona einst abbrach und seine Karriere als Mitarbeiter in Videotheken begann, ist bereits seit dem Jahr 2000 bei Netflix und führte das Unternehmen bereits zwischen 2020 und 2023 gemeinsam mit Gründer Reed Hastings – wobei Sarandos nach außen hin aber klar die Juniorrolle zukam. Der 60-Jährige verantwortet Inhalte sowie Marketing- und Kommunikationsstrategien der Plattform und verlässt sich gerne auf seine Intuition.

Sein Co-Chef Peters, der in Yale Physik und Astronomie studierte und vor seinem Wechsel zu Netflix im Jahr 2008 im Online-Handel und im Geschäft mit Entertainment-Technologie aktiv war, steuert die Produktentwicklung sowie die technologische und finanzielle Seite des Geschäfts. Er gilt als der deutlich stärker datengetriebene der beiden Firmenlenker.

Netflix-Lenker Ted Sarandos verlässt sich stärker auf die Intuition als sein Co-Chef. Foto: Fati S/ABACAPRESS.COM

Die Unterschiede zwischen den Führungspersönlichkeiten führen zu Konflikten – unter anderem darüber, wie eng sich Netflix an die Vorgaben ihres Algorithmus halten sollte, der Nutzern Shows und Filme empfiehlt. Die Sarandos-Seite argumentiert mitunter dafür, den Mechanismus zu übergehen, um sicherzustellen, dass bestimmte Inhalte ein so großes Publikum erreichen wie möglich. Bei strategischen Fragen, betonen die Co-Chefs, ergänzten sich letztlich aber stark.

Anleger hoffen darauf, dass sich die Co-CEOs diese positive Einstellung zu ihrer Zusammenarbeit bewahren. Denn sie führen den Streaming-Markt gerade in eine neue Ära: Seit dem vergangenen Jahr treibt Netflix eine Expansion ins Live-Geschäft voran und überträgt unter anderem Spiele der American-Football-Liga NFL, Boxkämpfe und Veranstaltungen der Wrestling-Promotion WWE. Die Entwicklung ist auf grundlegendere Veränderungen in den Abonnementmodellen des Streaming-Vorreiters zurückzuführen.

Werbefinanzierte Variante als neuer Treiber

Denn Netflix führte im Herbst 2022 eine werbefinanzierte Variante ein. Im vierten Quartal zog diese in Märkten, in denen sie verfügbar war, mehr als 55% der Neukunden auf sich. Gegenüber dem Vorquartal wuchs die Nutzerzahl in dem Segment um 30%, im laufenden Jahr soll sich der Umsatz im Werbegeschäft verdoppeln. Mit ihren 301,63 Millionen Abonnenten gilt Netflix bereits als äußerst attraktive Plattform. Über Live-Events sollen sich noch größere Chancen zur Produkt- und Anzeigeplatzierungen ergeben.

Herausforderung voraus

Doch die neue Fokussierung wird für Netflix zur riskanten Wette. Denn technische Pannen führen seit dem Start der Live-Strategie wiederholt zu Übertragungsausfällen bei Großereignissen. Der Analysedienst Agora warnt davor, dass selbst geringe Latenzen das Nutzererlebnis bei Livesport-Ereignissen erheblich einschränken.  Es bestehe nun „dringender Bedarf, die Streaming-Technologie auf den neuesten Stand zu bringen, um Nutzern eine stärker synchronisierte Erfahrung zu bieten.“ Sonst drohen frustrierte Kunden in größeren Zahlen Abonnements zu kündigen – die bisher so erfolgreiche Netflix-Doppelspitze steuert damit wohl auf ihre größte Herausforderung zu.

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