Seit 44 Jahren beim Benz
Seit 44 Jahren beim Benz
Von Joachim Herr, München
Die Nachfrage nach schweren Lkw ist abgeflaut. Daimler Truck und die Konkurrenten erwarten sowohl in Europa als auch in Nordamerika einen Absatzrückgang in diesem Jahr. Michael Brecht ist ganz nah dran an der Entwicklung – sowohl als Vorsitzender des Konzern- und Gesamtbetriebsrats von Daimler Truck als auch als stellvertretender Aufsichtsratschef. „Es herrscht schon etwas Unruhe“, berichtet er über die Stimmung in der Belegschaft. „Einige Kolleginnen und Kollegen haben Fragezeichen im Gesicht.“
Eine solche Abschwächung ist für Brecht, der am 2. Juli 59 Jahre alt wird, und viele seiner Kollegen jedoch nichts Neues: „Wir kennen die Situation, haben ja schon einige Konjunkturzyklen erlebt.“ Seit 1980 schafft Brecht beim Daimler, wie es in der schwäbischen Heimat des Fahrzeugherstellers heißt. Als gebürtiger Karlsruher ist er freilich Badener, was an seiner weichen Aussprache und Sprachmelodie leicht zu erkennen ist. In Baden sagen sie, sie arbeiten beim Benz. Brecht begann im Werk in Gaggenau mit einer Ausbildung zum Kfz-Schlosser. Weiterbildungsprogramme und ein berufsbegleitendes Studium in St. Gallen zum Master of Management folgten.
„Durch den Abschwung müssen wir durch“, sagt Brecht im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Er gibt sich gelassen, denn: „Ein strukturelles Problem hat Daimler Truck nicht.“ Zudem seien Arbeitszeitkonten und andere Instrumente nun besonders hilfreich: „Wir haben eine sehr hohe Flexibilität.“
International vernetzt
Im Betriebsrat engagiert sich Brecht nahezu schon seit Berufsbeginn. Im Alter von 20 Jahren wurde er zum konzernweiten Vorsitzenden der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung gewählt. Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR) der Daimler AG war er von April 2014 bis Dezember 2021. Nach der Abspaltung vom Pkw-Geschäft von Mercedes-Benz folgte nahtlos die Wahl zum GBR-Vorsitzenden der Daimler Truck AG.
Der Lkw- und Bushersteller beschäftigt mehr als 100.000 Menschen in der Welt. Auf die Frage, ob die damit verbundene Verantwortung manchmal eine Belastung sei, überlegt Brecht kurz und antwortet:
„Ich mache meine Arbeit gern und freue mich, dass unsere Arbeitnehmervertreter auf der ganzen Welt gut funktionieren.“ Er allein könne ja auch nicht alle Probleme lösen. Als Beispiel für die internationale Arbeit nennt er die Gründung einer Betriebsgewerkschaft in Indien. „Wir kennen uns gut und pflegen freundschaftliche Beziehungen“, sagt der Betriebsratschef über sein Netzwerk im Konzern. „Das macht es aus, und das macht Spaß.“
Die Abspaltung des Nutzfahrzeuggeschäfts von Mercedes-Benz vor gut zweieinhalb Jahren hat Brecht von Anfang an befürwortet. „Wir wollten agieren, bevor wir vom Kapitalmarkt dazu gezwungen werden.“ Zudem weist er darauf hin, dass es kaum Synergien beider Fahrzeugkategorien gebe. Vorstand und Aufsichtsrat könnten sich nun ganz auf Lkw oder Pkw konzentrieren.
Kontroverse Diskussionen
Ein wenig Glück war dabei. Die Zeit für die Aufspaltung sei günstig gewesen, meint Brecht: „Daimler Truck steht nach zwei Rekordjahren gut da.“ Viel Gutes sei auf den Weg gebracht worden. „Daimler Truck ist etwas offener, sichtbarer und transparenter geworden.“ Darin erkennt er aber nicht nur Positives: „Das bringt viele Diskussionen im Kapitalmarkt mit sich – nicht nur auf der Sonnenseite.“
Kontroverse Diskussionen mit dem Vorstand scheut Brecht nicht. Das gehört zu seinem Job. Immer wieder nimmt der Betriebsratschef das Kostenziel des Managements ins Visier: „Nur auf die Fixkosten zu schauen ist aus meiner Sicht zu kurz gesprungen.“ Daimler Truck arbeitet daran, die Fixkosten von 2019 bis 2025 um ein Viertel zu senken. Brecht würde einen anderen Ansatz bevorzugen: „Ich will eher eine qualitative Diskussion: Wie schaffen wir es, dass das Unternehmen insgesamt effizienter wird?“
Manchmal scheppert es zwischen ihm und Vorstandschef Martin Daum, wie Brecht andeutet: „Es gibt viele Themen, über die wir streiten. Aber wir kriegen uns dann auch wieder ein.“ Daran, dass er trotz aller Auseinandersetzungen um die Sache auch ein wenig Fan von Daum ist, lässt er keinen Zweifel: „Ich habe größten Respekt und Hochachtung für ihn.“ Daum habe großen Anteil daran, dass Daimler Truck heute so erfolgreich sei.
„Sehr emotional“
Spätestens im Februar des nächsten Jahres, wenn sein Vertrag endet, geht Daum (64) in den Ruhestand. Dass Brecht dies bedauert, ist ihm abzunehmen: „Ich hätte gern noch ein paar Jahre mit ihm zusammengearbeitet.“ Brecht ist bis 2027 für vier Jahre bestätigt worden und will ein Jahr vorher zur Wahl als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats für die nächste Periode nochmals antreten. „Selbstverständlich, ich bin ja noch jung“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Als eine Stärke Daums nennt Brecht dessen Begeisterungsfähigkeit und fügt hinzu: „Was ihm vielleicht als Schwäche ausgelegt wird, empfinde ich als Stärke: seine Emotionalität.“ Das ist noch eine Gemeinsamkeit der beiden Männer, die in Karlsruhe geboren sind: „Ich bin auch sehr emotional“, gesteht Brecht.