Dax-Aufsichtsräte werden nur langsam international
Von Joachim Herr, München
Der Anstieg des Frauenanteils in den Dax-Aufsichtsräten ist ins Stocken geraten. Und die Internationalität der Besetzung nimmt nur schleppend zu. Zu diesen Ergebnissen kommt Nicolas von Rosty, der Deutschland-Chef der Personalberatung Heidrick & Struggles, in einer Analyse der Veränderungen in den Kontrollgremien in diesem Jahr. „Der langjährige Trend zu mehr Aufsichtsrätinnen ist weitgehend gestoppt“, stellt von Rosty fest. In der aktuellen Hauptversammlungssaison erhöhte sich der Anteil der Frauen in den 30 Unternehmen auf der Seite der Anteilseigner nur um vier Zehntelpunkte auf 33,5%. Acht weibliche Mitglieder schieden aus, neun kamen hinzu. Die gesamte Zahl der Frauen liegt nun bei 85 der 254 Kapitalvertreter.
Von Rosty hebt Covestro hervor, da der Kunststoffhersteller als erster Dax-Konzern Parität im Aufsichtsrat erreicht hat mit je drei Frauen und Männern auf der Anteilseignerseite. Die seit 2016 gültige Quote von 30% übertreffen immerhin acht Dax-Mitglieder: Adidas, Bayer, Henkel, Infineon, Merck, Munich Re, RWE und Siemens Energy. Insgesamt sei aber der einst von der Quote ausgelöste Schwung dahin, sagt von Rosty. Im Gremium der Deutschen Börse und von SAP sank der Anteil der Frauen zuletzt sogar. Die Quote erfüllen die zwei Konzerne aber ebenso wie die restlichen 19 im Dax.
Dass der Mindestanteil erreicht ist, ist aus Sicht des Personalberaters einer der Gründe für die Stagnation. Zudem würden vor allem ehemalige Vorstände in Aufsichtsräte berufen. In diesem Kreis gebe es immer noch relativ wenige Kandidatinnen. „Der Pool ist langsam erschöpft“, sagt von Rosty. Zum Teil seien auch Frauen „overboarded“, hätten also mehrere Mandate. Dafür gibt es regelmäßig Kritik von Fonds und Aktionärsschützern. Simone Menne, unter anderem im Aufsichtsrat von Henkel und der Deutschen Post, hatte mit ihren anderen Mandaten begründet, dass sie sich in diesem Jahr nicht mehr auf der Hauptversammlung von BMW zur Wahl stellte.
Ein Manko für Investoren
Ein Zeichen für das erschöpfte Potenzial ist nach Meinung von Rostys auch die Tatsache, dass von den neun neuen weiblichen Mitgliedern im Dax30 acht nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Dennoch sind die Aufsichtsräte zuletzt kaum internationaler geworden. Die Quote nahm von 32,3 auf gerade einmal 34,3% zu, die absolute Zahl von 82 auf 87. Seit 2013 ist die Zahl um 17 gestiegen.
„Obwohl viele Dax-Konzerne global operieren, verzichtet eine ganze Reihe auf eine internationale Komponente in ihrem Aufsichtsgremium“, berichtet von Rosty. Für die Immobilienunternehmen Deutsche Wohnen und Vonovia sei dies verständlich, da sie vornehmlich in Deutschland tätig seien. „Im Fall von anderen Unternehmen gilt diese Zurückhaltung als Manko, auch unter Investoren.“ Der Personalberater hielte es für richtig, gerade jetzt mehr internationale Mitglieder für die Aufsichtsräte zu gewinnen: „Nach der Überwindung der Pandemie wird der Erfolg im globalen Wettbewerb wieder den Unterschied machen.“ Vor diesem Hintergrund sei die Entwicklung zu zögerlich.
Auffällig ist, dass gerade einmal drei Mitglieder der Aufsichtsräte aus Asien stammen. Angesichts der großen Bedeutung dieses Kontinents als Absatzmarkt für viele Dax-Unternehmen bezeichnet dies von Rosty als bedenklich. Einer der drei Asiaten ist Chong Lee Tan, der Präsident des Singapurer Staatsfonds Temasek. Er soll an diesem Mittwoch von der Hauptversammlung in den Aufsichtsrat der Deutschen Börse gewählt werden und Amy Yip ersetzen, die aus Hongkong stammt und nicht mehr antritt.
Gut vertreten sind nach von Rostys Ansicht in den Dax-Kontrollgremien die USA und Großbritannien mit insgesamt 30 Frauen und Männern. Aus den deutschsprachigen Nachbarländern Österreich und Schweiz stammen zusammen 18.
Kontinuität in der Krise
Von Rosty vermutet, dass sich nach dem Abflauen der Pandemie die Internationalisierung der Aufsichtsräte belebt. Virtuelle Sitzungen via Internet erleichterten dies, da weniger Reisen erforderlich seien. Im Moment setzten viele Unternehmen wegen Corona noch auf Kontinuität: „Im Sturm wechselt man die Mannschaft nicht.“ Zwar wurden im vergangenen Jahr sechs neue Aufsichtsratsvorsitzende berufen, in diesem Jahr werden es aber nur zwei sein: Bernd Pischetsrieder bei Daimler und am Freitag Wolfgang Kirsch bei Fresenius. Nach der Krise werde es mehr Bewegung geben, sagt von Rosty voraus. Mit der Suche nach Vorständen seien die Berater von Heidrick & Struggles und der Konkurrenten mittlerweile wieder gut beschäftigt.