Anne-Marie Großmann

„Dem Abgrund jeden Tag näher“

Der Stahlproduzent Georgsmarienhütte ächzt unter den hohen Strompreisen. Kurz vor der Wahl ruft Mitgeschäftsführerin Anne-Marie Großmann die Politik lautstark zum Handeln auf.

„Dem Abgrund jeden Tag näher“

„Dem Abgrund jeden Tag näher“

Von Annette Becker, Düsseldorf

Anne-Marie Großmann hat für ihren Vortrag vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf ein politisches Anliegen mitgebracht. Daraus macht sie gar kein Hehl. Es geht um den Erhalt der deutschen Stahlindustrie und darum, was die kommende Bundesregierung dafür tun muss – Stichwort: Stromkosten. Bekanntermaßen ist Deutschland bei den Energiekosten im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig. Das nimmt energieintensiven Unternehmen und damit auch dem Stahlproduzenten Georgsmarienhütte (GMH) die Luft zum Atmen. „Die bisherigen Gespräche mit der Politik haben nur warme Worte erzeugt“, macht das Mitglied der GMH-Geschäftsführung ihrem Ärger Luft.

Zwischen Mai 2021 und 2025 hätten sich die Energiekosten der GMH Gruppe um mehr als 70% verteuert, allen voran die Netzentgelte seien explodiert. Inzwischen machten diese fast 45% der Stromkosten aus, veranschaulicht die Gesellschafterin des Familienunternehmens. „Das bringt uns in die Bredouille, weil diese Energiekostenentwicklung keiner unserer Wettbewerber im Ausland hat“, stellt Großmann fest, die in der Geschäftsführung für die Unternehmensentwicklung verantwortlich ist.

Schweres Erbe

Mit dem Einstieg in die Geschäftsführung hat Großmann 2021 ein schweres Erbe angetreten. Nicht nur, weil die promovierte Volkswirtin, egal vor welchem Publikum sie spricht, stets als Tochter von Jürgen Großmann, dem Self-Made-Unternehmer und einstiegen RWE-Chef, vorgestellt wird. Sondern vor allem wegen der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, auf welche die Schwerindustrie hierzulande trifft. Das erschwert die Aufgabe, das Familienerbe zu bewahren. „Wir kommen dem Abgrund jeden Tag näher“, sagt die 36-Jährige mit fester Stimme. Im vergangenen Jahr habe die Gruppe bereits mehr als 100 Stellen abgebaut. Hinzu kommt Kurzarbeit.

Das seien jedoch kaum mehr als kosmetische Maßnahmen, jetzt gehe es ums Ganze. In Summe stehen in der Gruppe 6.000 Namen auf der Payroll, dahinter stehen 6.000 Familien, für die sich Großmann indirekt verantwortlich fühlt. Ohne staatliche Unterstützung bei den Energiekosten ließen sich das Unternehmen und damit die Arbeitsplätze nicht halten, zumindest nicht in Deutschland. Ganz unverhohlen droht Großmann mit Abwanderung. Enttäuschung schwingt in ihren Worten mit, fühlen sich die mittelständischen Unternehmen doch von der Politik im Stich gelassen. „Wenn wir keine Signale bekommen, halten wir nur noch ein paar Monate durch“, warnt Großmann.

Dabei gibt es aus ihrer Sicht valide Gründe, dass sich die Politik um die Stahlindustrie kümmert. Von der Unabhängigkeit – gerade auch unter sicherheitspolitischen Erwägungen – über die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Branche, bis hin zur technologischen Führerschaft, welche die hiesige Branche für sich reklamiert. Auch der Umbau der Produktion in Richtung grüner Stahl ist aus Sicht der Verfechterin einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wirtschaft unumgänglich.

Schon der Vater setzte 1993 beim Kauf der abgewirtschafteten Stahlhütte auf Recycling, schaffte den Hochofen ab und schmolz stattdessen Schrott im Elektrolichtofenbogen zu Stahl. Das machte die Georgsmarienhütte zum grünen Vorreiter, unabhängig davon, dass der Senior damals schlicht den betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten gehorchte. Doch was sich damals rechnete, trägt heute angesichts der Stromkosten zur Beschleunigung des Niedergangs bei.

Wünsche an neue Regierung

Wie kann der Ausweg aus der fatalen Situation aussehen? Großmann macht dazu konkrete Vorschläge an die Politik: Der Strompreis darf sich maximal in einer Spanne zwischen 40 und 60 Euro bewegen, die Netzentgelte sind zumindest für energieintensive Unternehmen zu senken und die CO2-Bepreisung von Erdgas muss angepasst werden. Letzteres zumindest so lange, bis ausreichend grüner Wasserstoff verfügbar ist. Welche Partei ihre Wünsche wohl am ehesten erfüllt? Darauf will sich die gebürtige Hamburgerin nicht festlegen: „Ich wünsche mir Politiker, die zu ihrem Wort stehen“, setzt sie den Schlusspunkt.

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