Großbritannien

Ein Hauch von Regierungskrise

Boris Johnson versucht es herunterzuspielen, doch seine Regierung hatte keine eigene Mehrheit für die am Dienstag beschlossenen 3G-Maßnahmen. Mögliche Rivalen loten angeblich bereits die Stimmung aus.

Ein Hauch von Regierungskrise

Von Andreas Hippin, London

„Man kann den überwältigenden Gestank von Fin-de-Régime nicht mehr ignorieren, der von der Downing Street ausgeht“, schrieb der konservative Kolumnist Allister Heath schon vor der peinlichen Schlappe, die Premierminister Boris Johnson diese Woche im Unterhaus einstecken musste. Am Dienstag hatten so viele Tory-Abgeordnete gegen die von der Regierung vorgeschlagenen 3G-Regeln gestimmt, dass sie keine eigene Mehrheit dafür hatte. Nur weil sich Labour staatstragend enthielt, wurde die Vorlage vom House of Commons abgesegnet. Ginge es nur um ein paar Sitze, wäre alles halb so schlimm, doch die Tories verfügen im Unterhaus seit zwei Jahren über eine Mehrheit von 80 Mandaten. Wenn dann 100 Abgeordnete Johnson die Gefolgschaft verweigern, muss man von einer Regierungskrise sprechen, zumal vor der Abstimmung nichts unversucht gelassen wurde, die Rebellen auf Linie zu bringen. Die vorübergehende Unklarheit über die Zahl der Rebellen ging darauf zurück, dass die Ergebnisse später korrigiert wurden.

Wachsende Frustration

Nun gibt es in der Bevölkerung Umfragen zufolge große Unterstützung für die neuen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. An der konservativen Parteibasis und unter den Tory-Unterhausabgeordneten sieht es jedoch anders aus. Dort finden sich viele Libertäre, denen die persönliche Freiheit über alles geht. Die Vorwürfe aus den eigenen Reihen, Johnson habe nur deshalb „Plan B“ – strengere Restriktionen – aktiviert, um vom Skandal um Weihnachtspartys in der Downing Street im Pandemiejahr 2020 abzulenken, zeugen von der zunehmenden Frustration der Hinterbänkler. Sie haben es satt, ihren Wählern Johnsons Eskapaden erklären zu müssen – egal ob es darum geht, wer für die opulente Sanierung seiner Dienstwohnung in 10 Downing Street bezahlt hat, oder darum, wie Einzelhandel und Gastgewerbe einen weiteren Lockdown überstehen sollen. Denn obwohl die Regierung beteuert, es gebe „keine Pläne“ für weitere Einschränkungen, fürchten viele, dass auf „Plan B“ bald „Plan B+“ und „Plan C“ folgen werden.

Wie Katy Balls vom „Spectator“ berichtet, versuchen Abgeordnete, Anrufe von den Wahrern der Fraktionsdisziplin, den sogenannten Whips, zu vermeiden. Sie arbeiten von zuhause oder melden sich krank. Kabinettsmitgliedern wie Außenministerin Liz Truss und Schatzkanzler Rishi Sunak werde unterstellt, sich schon einmal umzuhören, wer ihren Anspruch auf die Führung unterstützen würde. „Jeder schnuppert die Luft – man kann es einfach spüren“, zitiert Balls einen ehemaligen Berater des Premierministers.