Levi’s-Chefin Gass hat keine Lust auf Kompromisse
Levi’s-Chefin Gass hat keine Lust auf Kompromisse
Von Alex Wehnert, New York
Michelle Gass hat keine Lust auf Kompromisse. Die Managerin hat den Auftrag, die Denim-Ikone Levi Strauss auf Vordermann zu bringen – und muss dafür im Portfolio aufräumen. Seit die Ex-Chefin der Warenhauskette Kohl’s im Januar nach etwas mehr als einem Jahr in Wartestellung an die Spitze des Modeunternehmens aufrückte, hat sie die preiswerte Jeanslinie Denizen eingestellt und angekündigt, dass sich Levi Strauss graduell aus dem Schuhmarkt zurückziehen wird.
Auch für die Casual-Fashion-Marke Dockers, deren Absatz stark von Verkäufen über Warenhausketten wie Macy’s abhängig ist, prüft Gass „strategische Alternativen“. Zu diesen zählt auch ein möglicher Verkauf. Dieser stand schon in der Vergangenheit zur Debatte. Vor 20 Jahren hatte Levi’s bereits eine Veräußerung zum Verkauf von Dockers an die Private-Equity-Firma Vestar Capital vereinbart, der Deal sollte 800 Mill. Dollar einbringen – doch das Bekleidungshaus überlegte es sich noch anders.
Verkaufskanäle zurechtgestutzt
Gass, so glauben Beobachter, könnte nun aber Ernst machen. Statt sich mit Nebenschauplätzen herumzuschlagen, will die Vorstandschefin „den Fokus auf die Marke Levi’s schärfen“. Die für ihre 501-Hosen und Trucker-Jacken bekannte Kernlinie des Unternehmens wuchs im dritten Quartal immerhin um 5%; Levi Strauss wurde durch andere Geschäftsbereiche gebremst. Nun soll sich die „Two-Horse Brand“ zudem stärker an einem zahlungskräftigeren Publikum orientieren. Die Verkaufskanäle über Retailer, die im Wettbewerb mit E-Commerce-Plattformen und Billigimporteuren aus China gehäuft zu umfangreichen Rabattaktionen greifen, stutzt Gass bereits zurecht. Dagegen soll der Absatz über die eigenen Stores eine größere Rolle spielen.
Mit einer solchen Ausrichtung auf das Direktgeschäft kurbeln Bekleidungshersteller üblicherweise ihre Profitabilität an. Tatsächlich hat die Bruttomarge von Levi’s zuletzt in vier aufeinanderfolgenden Quartalen gegenüber dem Vorjahr zugelegt, im dritten Jahresviertel lag sie bei 4,4%. Allerdings ist es für Modemarken ein zweischneidiges Schwert, sich von ihren Einzelhandelspartnern abzuwenden. Was geschehen kann, wenn sie entsprechende Schritte zu schnell vollziehen, hat laut Analysten das Beispiel von Nike gezeigt.
Retail-Strategie mit Risiken
Unter dem ehemaligen CEO John Donahoe konzentrierte sich der Sportartikelkonzern ab 2020 wesentlich stärker auf das Direktgeschäft und orientierte sich nach einer schwachen Absatzentwicklung erst im Frühjahr wieder in Richtung der Retailer. In der Zwischenzeit nahm die Konkurrenz den aufgegebenen Platz in den Ladenregalen ein, der für Nike schwierig zurückzuerobern ist. Allerdings ist Gass bei aller Konsequenz nicht für ruckartige Entscheidungen bekannt. Vielmehr setzt sie auf eine Strategie der „no-regret moves“, wie sie ihr Vorgehen gerne selbst bezeichnet. Damit sind kleine Schritte mit geringem Risiko gemeint, die sich langfristig stark auf das Gesamtunternehmen auswirken. In ihrer Zeit bei Kohl’s traf sie mehrere solcher Entscheidungen – die wohl folgenreichste davon war die Integration von Boutiquen der französischen Kosmetikmarke Sephora in Filialen der Warenhauskette.
Krise bei Rivalen ausgenutzt
Dabei wurde die Krise eines Rivalen für Gass zur Chance. Denn zuvor verfügte Sephora über eine langfristige Vereinbarung mit J.C. Penney – nach der Insolvenz der Texaner lockte die damalige Kohl’s-Chefin die Franzosen 2020 inmitten der Corona-Pandemie mit einem unwiderstehlichen Angebot: der Aufnahme in bis zu 1.200 Kaufhäuser mit Zugang zu 65 Millionen Kunden. Heute betreibt Sephora bereits Shops in 900 Kohl’s-Filialen, auf die damit der Glanz der Kosmetikmarke abfallen soll. Peter Boneparth, der Verwaltungsratsvorsitzende der Warenhauskette, bezeichnet die Zusammenarbeit mit dem Beauty-Anbieter als „eine der wichtigsten Ausprägungen des Wandels bei Kohl’s“ und „Erbe“ von Gass.
Die Bilanz der gebürtig aus Maine stammenden Managerin fällt jedoch gemischt aus. Nachdem sie 2013 als Chefin für Kundenbeziehungen zu Kohl’s kam, schaffte sie zwar binnen fünf Jahren den Sprung an die Vorstandsspitze. Auch frischte sie das Portfolio mit Marken wie Under Armour und Tommy Hilfiger auf, baute die E-Commerce-Kapazitäten bedeutend aus und traf eine Vereinbarung, gemäß der Amazon-Kunden bestellte Ware in Kohl’s-Filialen zurückgeben konnten.
Druck von Shareholder-Aktivisten
Allerdings ging vielen Aktionären die Erholung von den Pandemie-Verwerfungen nicht schnell genug. Shareholder-Aktivisten machten nach einem Gewinneinbruch und einem gescheiterten Verkauf an die inzwischen insolvente Retail-Holding Franchise Group Druck und drangen auf den Rauswurf der Chefin. Der Verwaltungsrat stand zwar zu Gass, doch die Attacken gingen der Managerin nahe, wie Weggefährten im „Wall Street Journal“ berichteten.
Die MBA-Absolventin der University of Washington, die ihre Karriere einst beim Konsumgüterkonzern Procter & Gamble begann und bei Starbucks einige der heute populärsten Produkte der Kaffeehauskette lancierte, betont, dass die Erfahrung sie stärker gemacht habe. Dennoch ergriff sie eine neue Gelegenheit. Bei einem Geschäftsessen im Oktober 2022 fragt der damalige Levi’s-Chef Chip Bergh, ob Gass sich vorstellen könne, seine Nachfolgerin zu werden. Kurz darauf wird sie zunächst Präsidentin der Jeansmarke und macht sich über das folgende Jahr mit dem Filial- und Vertriebsnetz, gerade in Wachstumsmärkten wie Indien, China und Japan vertraut.
Umsatzziel verfehlt
Rund um ihren Aufstieg an die Vorstandsspitze muss sie zunächst Entlassungen mittragen. Fundamental läuft es nicht reibungslos, das erste Jahr mit Gass in der CEO-Rolle wird Levi Strauss nach eigenen Prognosen mit einem Umsatzplus von 1% beenden – das Ziel lag bei 3%. Gass, betonen Analysten, benötigt nach ihrer gemischten Bilanz bei Kohl’s nun schnell zählbare Erfolge. Nun soll auch eine Werbekampagne mit Popstar Beyoncé dazu beitragen, die Strahlkraft der Kernmarke zu erhöhen.