Schottland

Nicola Sturgeon tritt ab

Nicola Sturgeon hat ihren Rücktritt als schottische Regierungschefin angekündigt. Zuletzt fiel es ihr immer schwerer, mit der Forderung nach einem weiteren Unabhängigkeitsreferendum von Problemen abzulenken.

Nicola Sturgeon tritt ab

Von Andreas Hippin, London

Nicola Sturgeon (52) hat sich für die Flucht nach vorn entschieden. Am Mittwoch kündigte sie in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in Edinburgh ihren Rücktritt als schottische Regierungschefin und Parteiführerin der Scottish National Party (SNP) an. „Ich habe jeden Tag mehr das Gefühl, dass die fest gefügten Meinungen, die die Leute zunehmend über mich haben – einige fair, andere wenig mehr als eine Karikatur –, als Barrieren gegen eine vernünftige Debatte in unserem Land eingesetzt werden“, sagte Sturgeon. Stellungnahmen und Entscheidungen, die alles andere als kontrovers sein sollten, würden es plötzlich. Oft würden Themen unter dem Gesichtspunkt diskutiert, was sie denke und was die Leute über sie dächten. „Ich habe immer geglaubt, dass kein Individuum in einem System zu lange dominant sein sollte“, sagte Sturgeon. „Führer kommen und gehen. Doch ich bin der festen Ansicht, dass es eine Mehrheit für die Unabhängigkeit in Schottland gibt.“ Um sie zu festigen, müsse die Spaltung in der schottischen Politik überwunden werden. „Meiner Meinung nach wird ein neuer Führer besser dazu in der Lage sein, das zu tun“, sagte sie. Sie werde aber noch im Amt bleiben, bis ein Nachfolger gewählt sei.

Unabhängigkeit lenkt ab

Es ist nur konsequent, dass sie das Thema Unabhängigkeit auch bei diesem Auftritt einsetzte, um von den Dingen abzulenken, die sie während ihrer achtjährigen Amtszeit in den Sand setzte. Auch den Umstand, dass beim Brexit-Referendum 2016 eine große Mehrheit der Schotten gegen den EU-Austritt stimmte, wusste sie geschickt zu nutzen.

Die traurige Bilanz: Schottland hat eines der größten Haushaltsdefizite in der entwickelten Welt. Es beläuft sich auf 12% des Bruttoinlandsprodukts. Großzügige Transferzahlungen aus England ermöglichen der SNP die sozialen Wohltaten, mit denen sie für sich wirbt. Trotzdem steht das öffentliche Gesundheitswesen in Schottland ebenso vor dem Zusammenbruch wie im Rest des Vereinigten Königreichs. Die Lebenserwartung geht zurück. Die Zahl der Drogentoten ist rasant gestiegen.

Sturgeon dürfte klar gewesen sein, dass ein weiteres Referendum über die Loslösung vom Rest des Vereinigten Königreichs in weite Ferne gerückt ist, nachdem sie 2022 vor dem Supreme Court mit einem entsprechenden Gesetz Schiffbruch erlitt. Das von ihr vorangetriebene Gesetz (Gender Recognition Reform Bill), das einen Wechsel des Geschlechts vereinfacht, wurde von der britischen Regierung mit der Begründung blockiert, dass es Frauenrechte nach dem Gleichstellungsgesetz (UK Equality Act) gefährden könnte. Ihr Versuch, das Thema zu einem weiteren Beispiel für die Fremdbestimmung durch Westminster aufzupusten, scheiterte kläglich – nicht nur weil zwei von drei Schotten das Gesetz ablehnen. Ihr kam auch noch der Fall eines mehrfachen Vergewaltigers in die Quere, der in einem schottischen Frauengefängnis untergebracht wurde, nachdem er sich entschlossen hatte, nunmehr als Frau zu leben. Sturgeon wurde fortan auf jeder Pressekonferenz gefragt, ob der Vergewaltiger eine Frau sei oder nicht.

Nun hat sie die Konsequenz daraus gezogen, dass sie den Drang vieler Schotten nach nationaler Selbstbestimmung wohl schon bald nicht mehr für ihre Person mobilisieren kann. Also geht sie, solange es noch Applaus für sie gibt. Als mögliche Kandidaten für die Nachfolge werden die schottische Finanzministerin Kate Forbes (32) und Angus Robertson (53), der ehemalige SNP-Fraktionsführer in Westminster, gehandelt. Bei den Buchmachern liegt Robertson vorn.