Nicola Sturgeon verlässt das Glück
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Schottlands Regierungschefin Nicola Ferguson Sturgeon (52) hat vom parteiinternen Streit unter den Tories und dem offenkundigen Chaos in Westminster nicht profitieren können. Schlimmer noch: Labour legte in Schottland in einer Meinungsumfrage der „Sunday Times“ um 7 Prozentpunkte zu, während die Unterstützung für die von Sturgeon geführte Scottish National Party (SNP) stagnierte. Als König Charles und seine Gemahlin Camilla vergangene Woche Dunfermline besuchten, weil der Ort zur Stadt erhoben wurde, gab es Buhrufe für Sturgeon. Die Harry-Potter-Autorin JK Rowling warf ihr vor, Frauenrechte zu zerstören. In den öffentlich-rechtlichen Rundfunkmedien, die ihr stets wohlgesonnen waren, verliert Sturgeon an Unterstützung. Und es gilt als unwahrscheinlich, dass sich der Supreme Court ihre Sicht zu eigen machen und dem schottischen Regionalparlament erlauben wird, unilateral die rechtlichen Grundlagen für ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum zu schaffen.
Da war es etwas ungeschickt, vor laufender Kamera die hässliche Seite des Nationalismus zu offenbaren. „Ich verabscheue die Tories und alles, wofür sie stehen“, sagte sie der schottischen BBC-Moderatorin Laura Kuenssberg. Danach ruderte sie eilends zurück, doch hört man in politischen Auseinandersetzungen in Schottland öfter, dass die Gegner der SNP keine „richtigen“ Schotten seien und dass sie nicht nur im Unrecht, sondern bösartig und widerwärtig seien. Labour wird die Chancen zu nutzen wissen, die sich aus diesem Ausrutscher bei den Wählern ergeben könnten. Sturgeon hat das Problem, dass sie mit der Forderung nach einer erneuten Volksabstimmung, mit der sie alle Misserfolge im Alltagsgeschäft zu übertönen sucht, nicht mehr weiterkommt. Es sind eben nur 45 % der Schotten, die hinter ihr stehen. Will sie aus den nächsten Unterhauswahlen ein „De-facto-Referendum“ machen, müsste sie die 50-Prozent-Marke knacken. Aber das haben die Nationalisten noch nie geschafft.
Sturgeon beschrieb sich einmal als ein „Kind der Thatcher-Jahre“. Ihr Streben nach sozialer Gerechtigkeit und mehr Gleichheit habe sie in die Politik gehen lassen. Sie stammt aus der industriell geprägten Hafenstadt Irvine und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Bereits in ihrer Jugend schloss sie sich der Friedensbewegung an. Bis heute gehört die nukleare Abrüstung Großbritanniens für sie zu den wichtigsten Forderungen. Als sie 1992 ihr Jurastudium an der University of Glasgow abschloss, war sie bereits sechs Jahre Mitglied der SNP. Im gleichen Jahr trat sie als jüngste Kandidatin für einen Sitz in Westminster an. Mit 29 zog sie ins schottische Regionalparlament ein und machte der damals in Holyrood regierenden Koalition aus Labour und Liberaldemokraten zu ihren Lieblingsthemen Bildung, Gesundheit und Justiz ordentlich Dampf. Als schottische Gesundheitsministerin machte sie später die Schließung von Notaufnahmen rückgängig und schaffte die Rezeptgebühren ab. Dabei stand sie allerdings stets im Schatten von SNP-Chef Alex Salmond, der auch die Kampagne für ein Unabhängigkeitsreferendum führte. Nach der Niederlage bei der Volksabstimmung 2014 überließ er ihr das Feld. Seitdem steht sie an der Spitze von Partei und Regionalregierung.