Ratspräsident Michel liefert Stoff für neue Debatten
EU-Ratspräsident Michel liefert Stoff für mehrere Debatten
Von Detlef Fechtner, Frankfurt
Er habe Rücken, ließ EU-Ratspräsident Charles Michel am Mittwoch wissen, müsse deshalb seinen Auftritt vor dem Plenum des EU-Parlaments in Straßburg aus gesundheitlichen Gründen auf Anfang Februar verschieben. Aber obwohl er nicht im Saal war, lieferte der Belgier im Parlament doch jede Menge Stoff für Debatten, und zwar gleich für mehrere.
Vor anderthalb Wochen hat der 48-jährige Belgier angekündigt, bei den Europawahlen als Spitzenkandidat der wallonischen Liberalen (Mouvement Réformateur) antreten zu wollen. Damit ist so gut wie sicher, dass der Ex-Premier und Sohn des früheren EU-Entwicklungskommissars Louis Michel im Sommer den Ratsvorsitz abgibt, obwohl seine Amtszeit eigentlich noch bis November läuft. Das wiederum bringt die EU in eine Bredouille. Denn traditionell wird die Besetzung des Ratspräsidenten im Gesamtpaket mit dem Posten des EU-Kommissionschefs und des EU-Parlamentspräsidenten ausgehandelt. Dafür brauchen die EU-Institutionen Wochen, wenn nicht Monate. Was wiederum bedeutet, dass kommissarisch die rotierende Ratspräsidentschaft die Regie bei den EU-Gipfeln übernehmen würde – und ab Juli sind die Ungarn dran. Die persönlichen Pläne von Michel könnten also zur Folge haben, dass Ungarns Regierungschef Viktor Orbán zwischenzeitlich die Leitung der EU-Gipfel übernimmt.
Eine Debatte, die Michel mit seiner Ansage entfacht hat, ist, ob es nicht dem Amt schade, wenn der Ratspräsident aus persönlicher Berufsplanung gerade dann ausscheide, wenn es schwierig sei, ihn sofort zu ersetzen. In Kommentaren belgischer Medien wird Michel "Fahnenflucht" vorgeworfen. Eine andere Diskussion dreht sich um mögliche Nachfolger. Unter den Namen, die umgehen, sind Ex-EZB-Präsident Mario Draghi, der frühere niederländische Premier Mark Rutte, Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen und Portugals zurückgetretener Premier Antonio Costa.
Die dritte Diskussion ist die Kontroverse um die Rolle Ungarns in der EU. Allein die Vorstellung, Orbán könnte im Sommer den Vorsitz am EU-Gipfeltisch übernehmen, bringt heute bereits das halbe EU-Parlament in Furor. Die Abgeordneten haben in dieser Woche eine Resolution verhandelt, die von Vertretern der Konservativen, der Sozialdemokraten, der Grünen, der Liberalen und der Linken verfasst worden ist. Darin werden Budapest jahrelange Verstöße gegen die Rechtstaatlichkeit vorgeworfen und Rat und EU-Kommission kritisiert, nicht härter gegen Ungarn vorzugehen. Zugleich wird die EU-Kommission dafür gerügt, dass sie im Dezember Ungarn die Einhaltung der Charta der Grundrechte attestiert und milliardenschwere Hilfen freigegeben hat. Im Rechtsausschuss wird gar eine Klage gegen die EU-Kommission wegen der Freigabe der Kohäsionsgelder diskutiert. "Der ungarische Ministerpräsident arbeitet weiter an der Abschaffung der Rechtstaatlichkeit und EU-Kommission und Rat verteilen Milliarden an den ungarischen Autokraten und Putin-Freund", schimpft der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund.