Spanischer Statistikamtschef tritt zurück
Von Thilo Schäfer, Madrid
Der Rücktritt des Präsidenten des Nationalen Statistikamtes INE schlägt in Spanien hohe Wellen. In der Nacht zum Dienstag wurde der Amtsverzicht von Juan Manuel Rodríguez Poo bekannt, offiziell aus „persönlichen Gründen“. Doch waren das INE und sein Chef seit Monaten heftiger Kritik seitens der Regierung ausgesetzt, die laut einigen Medien einen Wechsel an der Führungsspitze des formell unabhängigen Instituts angestrebt hatte.
Mehrere Minister der Koalitionsregierung aus Sozialisten und Linken, darunter die Wirtschaftsministerin Nadia Calviño, stellen seit einiger Zeit die Berechnungsmethoden des INE infrage. Das gilt für zwei der wichtigsten volkswirtschaftlichen Statistiken: die Inflationsrate (IPC) und das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Mit ihrer Kritik an den Statistikern steht die Regierung nicht allein da. Auch viele private Volkswirte und die spanische Notenbank hegen Zweifel an den Berechnungen.
Bei der Preisentwicklung rechnet das bislang von Rodríguez Poo geleitete Amt lediglich die Strompreise für Haushalte und Unternehmen mit ein, die einen variablen Tarif gewählt haben. Das heißt, dass sich der enorme Anstieg der Energiekosten in den vergangenen Monaten in der Berechnung der Inflationsrate besonders stark niederschlägt. Jedoch hat mehr als die Hälfte der Stromkunden in Spanien einen Festtarif, der eine deutlich langsamere Steigerung der Preise reflektiert. Das INE hat diesen Fehler eingeräumt und arbeitet daran, bessere Daten von den Stromversorgern zu bekommen. Auch beim Wirtschaftswachstum haben viele Experten darauf hingewiesen, dass die Jahresrate von 6,3% im ersten Quartal zu niedrig sei, angesichts der robusten Entwicklung am Arbeitsmarkt, der den besten Stand seit Ausbruch der Finanzkrise erreicht hat. Auch die sprudelnden Steuereinnahmen deuten auf einen kräftigeren Anstieg des BIP hin.
Rodríguez Poo, promovierter Volkswirt des European Doctoral Programme in Quantitative Economics, ist seit 2018 an der Spitze des INE, als der Sozialist Pedro Sánchez an die Macht kam. In einer Pressemitteilung dankte das Wirtschaftsministerium von Calviño dem langjährigen Staatsdiener dafür, dass er den Reformprozess des INE angestoßen habe. So sollen die Statistiker demnächst weniger Umfragen und mehr „Big Data“ anwenden. Die Regierung will ein neues Statut für das Statistikamt auf den Weg bringen.
Für die konservative Opposition ist der Rücktritt dagegen eine klare Einmischung der Regierung in eine unabhängige Staatsinstitution. Der Arbeitgeberchef Antonio Garamendi unterstrich die Bedeutung der Unabhängigkeit des INE.