Vom Berater zum Luxusmode-Verkäufer
Von Helmut Kipp, Frankfurt
Mit klarer Ausrichtung auf Luxusmode ist Mytheresa zu einer erfolgreichen Online-Plattform geworden. Seit Januar ist das Internetunternehmen aus München an der Börse New York notiert und bringt dort 2,1 Mrd. Euro auf die Waage. Im Vergleich zum Betrag von 150 Mill. Euro, zu dem der Onlineshop 2014 in die USA verkauft wurde, ist der Firmenwert also um ein Vielfaches nach oben geschossen. Beim IPO war die Nachfrage so groß, dass der Ausgabekurs auf 26 Dollar hochgezogen wurde. Die ursprüngliche Preisspanne lag bei 16 bis 18 Dollar je Aktie.
Treibende Kraft hinter dem Aufstieg des Luxus-Retailers ist Michael Kliger, der seit März 2015 an der Spitze des Managements steht und die Internationalisierung voranbringt. Vor allem die USA und China, die beiden größten Luxusmärkte weltweit, hat der 1967 geborene Manager jetzt im Fokus. In beiden Ländern ist Mytheresa noch unterrepräsentiert.
McKinsey-Vergangenheit
In der Welt der einkommensstarken und zumeist weiblichen Klientel bewegt sich Kliger mit der nötigen Sicherheit. Er kann seine Kundschaft für Mode begeistern, ist aber kein spleeniger Marketingmann, sondern ein Zahlenmensch, der besonnen und kontrolliert rüberkommt. Kliger steuert Mytheresa nach KPIs, also nach den wichtigsten Performance-Indikatoren. „Da kommt die McKinsey-Vergangenheit durch“, heißt es aus seinem Umfeld. Diese Berufsstation teilt er übrigens mit CFO Martin Beer, der 2019 zu Mytheresa kam und seit September 2020 den Finanzbereich verantwortet.
Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Kliger im Einzelhandel. Aus seiner Zeit als Chief Operating Officer der Supermarktkette Real kennt er das klassische stationäre Geschäft, und bei Ebay Enterprises, wo er als Vizepräsident für Europa und Asien/Pazifik fungierte, tauchte er tief in die digitale Welt ein. Auch im Beratungsgeschäft ist Kliger, der einen MBA der Kellogg School of Management und einen Abschluss in Marketing und Finanzen der Technischen Universität Berlin besitzt, zu Hause. Zu Beginn seiner Berufslaufbahn arbeitete er viele Jahre, nämlich von 1992 bis 2004, für McKinsey, später folgte eine Station als Executive Director beim Unternehmens- und Strategieberater Accenture. Bei McKinsey stieg er zum Partner auf und leitete den deutschen Retail-Bereich.
Events und Mundpropaganda
Über ihren Onlineshop vertreibt Mytheresa Designermodemarken wie Gucci, Saint Laurent, Prada, Burberry und Valentino. Wichtigste Abnehmer sind beruflich erfolgreiche Frauen, also Selbständige, leitende Managerinnen oder Top-Anwältinnen. Seit 2020 verkauft das Unternehmen auch exklusive Männermode, Kinderbekleidung gehört seit 2019 zum Sortiment.
Obwohl Mytheresa in der digitalen Welt angesiedelt ist und der Großteil der Marketingausgaben in Onlinekanäle fließt, hält der Firmenchef überraschend viel von traditionellen Ansätzen wie Veranstaltungen und Mundpropaganda. Kliger lädt gern wichtige Kundinnen zu Events mit Designgrößen wie Victoria Beckham und Stella McCartney ein. Dahinter steht das Kalkül, dass die Gäste ihre Eindrücke im Freundes- und Bekanntenkreis weitererzählen und damit für zusätzliche Bestellungen sorgen. Das Konzept scheint zu funktionieren – schließlich kennt man sich in der Community.
Den Top-Kundinnen stellt der Onlinehändler sogenannte Personal Shopper zur Seite, die als Stylist fungieren, Teile aus einer neuen Kollektion vorreservieren oder dafür sorgen, dass ein neues Outfit pünktlich an einem bestimmten Ort ankommt. Die Bedeutung dieser Käufergruppe wird schon daran deutlich, dass 3% der Kunden für 30% des Umsatzes sorgen. Im Schnitt stehen die Top-Kundinnen für mehr als 20000 Euro Jahresumsatz.
Die Wurzeln des Unternehmens liegen in der Innenstadt von München nahe der Frauenkirche. Dort eröffneten Susanne und Christoph Botschen 1987 eine Boutique für Damen-Luxusmode. Bereits 2006, als E-Commerce noch in den Anfängen steckte, kam die Mytheresa-Website ans Netz. 2010 stieg der Wagniskapitalgeber Acton Capital mit einem Minderheitsanteil ein, und 2014 übernahm die amerikanische Nobelkaufhauskette Neiman Marcus den Onlineshop. Nach dem Kollaps von Neiman Marcus vor gut einem Jahr hielten Finanzinvestoren den Onlinehändler aus dem Konkurs heraus und brachten im Januar 2021 Hinterlegungsaktien (ADS) der niederländischen Obergesellschaft MYT Netherlands an die US-Börse. Kliger erlebte den großen Tag pandemiebedingt nur per Videoschalte.