Arbeitsrechtliche Vereinbarungen im Visier der Kartellbehörden
Arbeitsrechtliche Vereinbarungen
im Visier der Kartellbehörden
EU-Kommission positioniert sich zu wettbewerbswidrigen Vereinbarungen auf Arbeitsmärkten
Von Andrea Pomana *)
Kein Wirtschaftszweig ist vor kartellrechtlicher Verfolgung gefeit. So rücken in Zeiten von Personal- und Fachkräftemangel und des „Kriegs um Talente“ auch arbeitsrechtliche Vereinbarungen in Form von Abwerbeverboten und Gehaltsabsprachen zunehmend ins Visier der europäischen Kartellbehörden. Damit folgen sie einem Trend aus den USA, wo die dortigen Bundeskartellbehörden bereits seit mehreren Jahren konsequent gegen solche Vereinbarungen vorgehen.
In einem viel beachteten und kürzlich veröffentlichten Competition Policy Brief stellt die Europäische Kommission ihre aktuellen Überlegungen zu wettbewerbswidrigen Vereinbarungen auf den Arbeitsmärkten dar. Diese Überlegungen sind nicht neu, denn die EU-Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager erklärte bereits 2021, Abwerbeverbote und Gehaltsabsprachen oben auf die Agenda der kartellrechtlichen Verfolgung zu setzen.
Hohe Hürden
Den Worten folgten auch Taten. Nur zwei Jahre später, im November 2023, führte die Kommission eine unangekündigte Untersuchung bei Online Lieferdienstleistern im Food Sektor unter anderem aufgrund vermuteter Abwerbeverbote durch. Ende Juli 2024 eröffnete die Kommission sodann ein förmliches Verfahren gegen die betroffenen Unternehmen. Ihnen drohen empfindliche Geldbußen sollte sich der Verdacht bestätigen.
Im Competition Policy Brief erläutert die Kommission, dass sie Abwerbeverbote und Gehaltsabsprachen zwischen Unternehmen als kartellrechtswidrig erachtet. Sie sind mit Einkaufskartellen vergleichbar, bei denen Abnehmer ihr Verhalten auf dem Beschaffungsmarkt koordinieren, ohne gemeinsame Verhandlungen mit dem Lieferanten zu führen.
Eine solche Koordinierung stellt regelmäßig eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung, also ein „Hardcore“-Kartell dar und beeinträchtigt „seinem Wesen nach“ das ordnungsgemäße Funktionieren des Wettbewerbs. Die Hürden, solche Verhaltensweisen zu rechtfertigen, etwa indem etwaige Effizienzen oder andere wettbewerbsfördernde Parameter ins Feld geführt werden, sind sehr hoch und in der Praxis kaum zu überwinden. Damit bleiben solche Vereinbarungen grundsätzlich rechtswidrig.
Negative Auswirkungen
Bei Abwerbeverboten (sogenannte „no-poach“-Vereinbarungen) sprechen sich Unternehmen darüber ab, die Mitarbeiter des jeweils anderen Unternehmens nicht abzuwerben oder einzustellen. Davon wissen die betroffenen Mitarbeiter oft nichts. Nach Ansicht der Kommission werden damit Talente daran gehindert, dort eingesetzt zu werden, wo die Wirtschaft sie am besten benötigt.
Zudem kann das Versprechen, bestimmte Mitarbeiter nicht einzustellen, auch ein Versprechen sein, keine Innovationen vorzunehmen oder neue Märkte zu erschließen. Dabei sind Innovation und Produktivität wichtige Parameter bei der Beurteilung einer wettbewerbskonformen Vereinbarung. Zudem können sich Abwerbeverbote negativ auf die Dynamik des Arbeitsmarktes und damit die Mitarbeitergehälter auswirken.
Produktivitätsbremse
Bei Gehaltsabsprachen („wage-fixing“) legen Unternehmen – wiederum ohne Wissen der Mitarbeiter – die zu zahlenden Löhne fest und vereinbaren, nicht miteinander über höhere Löhne oder sonstige Mitarbeitervergünstigungen zu konkurrieren. Aus ökonomischer Sicht wird damit die Nachfrage nach Arbeitskräften verringert mit dem Nebeneffekt, dass unter anderem die Produktion und Mobilität der Mitarbeiter sinkt und weitere Kollusion wie zum Beispiel Preisabsprachen auf den nachgelagerten Märkten zum Nachteil der Verbraucher ermöglicht werden.
Der Nachweis etwaiger wettbewerbsfördernder Effekte unterliegt auch hier sehr engen Grenzen, ist individuell und sehr fakt-spezifisch. Allerdings sind Abwerbeverbote und Gehaltsabsprachen nicht immer kartellrechtlich unzulässig. So können sie als Nebenabreden im Rahmen von Zusammenschlüssen zulässig sein. Beispielsweise bei einem Forschungs-Gemeinschaftsunternehmen, bei dem die Parteien Schlüsselpersonal nur dann entsenden würden, wenn sie sich darauf verlassen können, dass die andere Partei die Mitarbeiter nicht abwirbt.
Restriktiv gehandhabt
Solche Nebenabrechen unterliegen engen Voraussetzungen und werden in der Praxis der Gerichte sehr restriktiv gehandhabt. Unter anderem muss die Nebenabrede unmittelbar mit der relevanten Transaktion verbunden und für deren Durchführung objektiv notwendig sein, zum Beispiel um das Investment im Zusammenhang mit der Ausbildung der Mitarbeiter, IP-Rechte oder andere Geschäftsgeheimnisse zu sichern. Zudem ist nachzuweisen, dass die Transaktion ohne die Nebenabrede nicht durchführbar gewesen wäre.
Wettbewerbsbehörden in mehreren Ländern Europas gehen seit mehreren Jahren rigoros gegen Vereinbarungen im Personalbereich vor – allen voran Portugal, Polen und Litauen im Profisportbereich bei Abwerbeverboten, die zwischen Fußball- bzw. Basketballligen und deren jeweiligen Clubs vereinbart wurden. Soweit ersichtlich gibt es noch keine Praxis in Deutschland.
Es ist aber zu erwarten, dass das Bundeskartellamt die Entwicklungen im Markt genau beobachtet. Spätestens jetzt sollten Unternehmen und deren Personalabteilungen geschult werden. Das Competition Policy Brief der Europäischen Kommission sowie die derzeit verfügbaren Leitlinien der Kartellbehörden aus Portugal, Skandinavien und der US-Kartellbehörden können dabei eine wertvolle Orientierung bieten.
*) Dr. Andrea Pomana ist Partner der Kanzlei Simmons & Simmons in Frankfurt.