GastbeitragEnergieversorgung

EuGH erklärt deutsche Kundenanlagen für europarechtswidrig

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat weitreichende Folgen für Kundenanlagen zur Energieversorgung. Darunter fallen unregulierte Sonderformen eines Energienetzes auf einem räumlich zusammengehörenden Gebiet.

EuGH erklärt deutsche Kundenanlagen für europarechtswidrig

EuGH erklärt deutsche Kundenanlagen für europarechtswidrig

Gesetzgeber muss Energie-Privileg überarbeiten – Urteil ist ein Schlag für Arealversorgungen

Von Dr. Boris Scholtka *)

Im Bereich der Energieversorgung hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) erstmals mit seinem Urteil vom 28. November 2024 (Rechtssache C-293/23) zur Vereinbarkeit der deutschen Kundenanlagenregelung mit der europäischen Strombinnenmarktrichtlinie Stellung genommen. Die Auswirkungen des Urteils für solche „Arealnetze“ sind beträchtlich. Letztlich führen die vom EuGH eingeführten Leitlinien für den Netzbetrieb zu einer Unvereinbarkeit des deutschen Kundenanlagenprivilegs mit europäischem Recht.

Sonderform eines Energienetzes

Kundenanlagen sind gemäß § 3 Nr. 24a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) unregulierte Sonderformen eines Energienetzes (Strom, Gas, Wasserstoff) auf einem räumlich zusammengehörenden Gebiet. Die Anlage muss für den Wettbewerb unbedeutend und ihre Nutzung für die angeschlossenen Verbraucher bei freier Lieferantenwahl entgeltfrei sein. In der Praxis wird allerdings häufig ein pauschaliertes, verbrauchsunabhängiges Entgelt vereinbart. Dementsprechend sind Kundenanlagen in Gewerbe- und Industrieparks, bei Arealbebauungen oder auch bei Industriearealen weit verbreitet.

Befreit von Regulierung

Letztlich beruhen sie auf der zutreffenden Überlegung, dass es nicht sinnvoll ist, Unternehmen, die maßgeblich einen Standort prägen (z.B. Unternehmen der Chemie- oder Montanindustrie), einer umfassenden energierechtlichen Netzregulierung mit allen regulatorischen Pflichten bis hin zur Netzentgeltkalkulation zu unterwerfen. Ebenfalls in den Genuss des Privilegs kommen Direktleitungen, die mit Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie mit einer Maximallänge von 5 km verbunden sind.

Abgrenzungs- und Genehmigungsfragen zu Kundenanlagen hatten immer wieder die Gerichte beschäftigt. Nicht völlig überraschend leitete daher der Bundesgerichtshof im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens eines vermeintlichen Kundenanlagenbetreibers ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH ein. Die Landesregulierungsbehörde und auch das Oberlandesgericht Dresden (Beschluss vom 16. September 2020, Kart 9/19) hatten zuvor die Beschwerde des Anlagenbetreibers gegen die Einstufung seines Versorgungsmodells als Kundenanlage zurückgewiesen.

Zwei Blockheizkraftwerke

Der Anlagenbetreiber wollte in zwei Blockheizkraftwerken Strom und Wärme erzeugen, über eigene Leitungen transportieren und damit zehn Wohnblöcke in zwei aneinander angrenzenden Arealen versorgen – ein Konzept, das Erzeugung, Transport und Lieferung in einer Hand vereinte. Der zuständige vorgelagerte Netzbetreiber hatte den Netzanschluss dieser vermeintlichen Kundenanlage versagt. Der EuGH stellte klar, dass ein Verteilernetz ein Netz ist, das Elektrizität auf Hoch-, Mittel- oder Niederspannungsebene weiterleitet, die für den Verkauf an Großhändler oder Endkunden bestimmt ist. Andere Merkmale wie der Zeitpunkt der Errichtung, die Größe der Anlage, die Nutzung durch Haushaltskunden oder die Eigentümerstruktur seien unerheblich.

Danach sei jeder Betreiber eines Netzes, das Strom an Endkunden weiterleitet, Verteilernetzbetreiber. Nationale Regelungen, die solche Betreiber von Verpflichtungen befreien oder abweichend definieren, seien unzulässig.

Abgrenzung und Kritik

Nur bestimmte in der Richtlinie zugelassene Ausnahmen seien zulässig. Das betreffe Bürgerenergiegemeinschaften, Ausnahmen für juristische Personen, die von natürlichen Personen, Gebietskörperschaften oder Kleinunternehmen kontrolliert werden und „geschlossene Verteilernetze“. Letztere sind in Deutschland ebenfalls bei Arealversorgungen verbreitet. So könnten auf Antrag bestimmte regulatorische Erleichterungen bei geografisch abgegrenzten Industrie- oder Gewerbegebieten erlangt werden, wenn keine Haushaltskunden versorgt werden. Im vorliegenden Fall sah der EuGH keine Grundlage für eine Ausnahme. Regelungen wie § 3 Nr. 24a EnWG widersprächen den Zielen der Richtlinie und gefährdeten die Integration, Transparenz und Wettbewerbsorientierung der Elektrizitätsmärkte.

Konsequenzen und Perspektiven

Das Urteil ist mit Blick auf das konkrete Modell nachvollziehbar, für viele Arealversorgungen aber ein harter Schlag. Die Folgen für Kundenanlagen sind beträchtlich. Es war der denkbar ungünstigste Fall, der seinen Weg nach Luxemburg gefunden hat. Auch wenn das Urteil zunächst nur Bindungswirkung für den Ausgangsfall hat, werden sich Behörden und Gerichte sowie Wirtschaftsprüfer an den Erwägungen des EuGH orientieren müssen. Der deutsche Gesetzgeber wird die Regelungen zu Kundenanlagen grundlegend richtlinienkonform überarbeiten müssen.

Künftig vielfach reguläre Verteilernetze

Kundenanlagen nach § 3 Nr. 24a EnWG dürften zukünftig vielfach als reguläre Verteilernetze einzustufen sein. Auf die Kundenanlagenbetreiber und auf Betreiber von Wind- oder Solarparks kommen nun in vielen Fällen umfangreiche regulatorische Verpflichtungen zu. Der Bürokratieaufwand wird weiter zunehmen. Schwer wiegt, dass vertikal integrierte Unternehmen oder selbständige Betreiber der Kundenanlage die Entflechtungsregelungen zu beachten haben.

Unternehmen müssen prüfen, ob und welche der genannten Folgen auf sie zutreffen und ob ein Wechsel in die durch das Urteil nicht direkt betroffene „Kundenlage zur überwiegenden betrieblichen Eigenversorgung“ zumindest übergangsweise ein zulässiger Ausweg sein kann. In manchen Fällen mag eine Flucht in das geschlossene Verteilernetz sinnvoll sein. Immerhin könnten dann auch regulär Netzentgelte für die Netznutzung der bisherigen Kundenanlage erhoben werden.

*) Dr. Boris Scholtka ist Rechtsanwalt von Addleshaw Goddard, Berlin.

Dr. Boris Scholtka ist Rechtsanwalt von Addleshaw Goddard, Berlin.