„Frankreich ist uns einen Schritt voraus“
Helmut Kipp
Herr Ehret, was ist das Besondere an den Regelungen für präventive Restrukturierungen in Frankreich?
Das ist zum einen die Umsetzung an sich: Der französische Gesetzgeber hat für den präventiven Restrukturierungsrahmen kein neues Verfahren geschaffen. Er hat vielmehr die beiden präventiven Schnellverfahren der sauvegarde accélérée und der sauvegarde financière accélérée miteinander fusioniert und in reformierter Fassung als präventiven Restrukturierungsrahmen eingeführt. Zum anderen wurden nunmehr auch im französischen Recht die Gläubigerklassen und der Cross Class Cram down, also die Möglichkeit, einzelne Gläubigerklassen auch gegen ihren Willen an eine Sanierungslösung zu binden, eingeführt. Gleichzeitig wurden die Gläubigerrechte im traditionell schuldnerfreundlichen französischen Restrukturierungs- und Insolvenzrecht gestärkt.
Welche Auswirkungen hat das?
Im maximal viermonatigen Sauvegarde-accéléré-Verfahren können Sanierungsplanlösungen per Zwei-Drittel-Mehrheit der Forderungshöhe (ohne Kopfmehrheit) umgesetzt werden. Die betroffenen Gläubiger und gegebenenfalls Anteilseigner sind in Gruppen eingeteilt. Das Gericht bestätigt den Plan, wenn sie nicht schlechter gestellt sind als in einem Alternativszenario. Auch deutsche Unternehmen und Kapitalgeber können als Gläubiger oder Anteilsinhaber von dem Verfahren betroffen sein. Der französische Restrukturierungsrahmen ist schließlich das erste Präventivverfahren auf Grundlage der EU-Richtlinie, das EU-weit gilt. Hier ist uns Frankreich einen Schritt voraus.
Wie kommt es dazu?
Die sauvegarde accélérée war bereits als Insolvenzverfahren im Anhang A der Europäischen Insolvenzverordnung gelistet. Das Präventivverfahren wird also trotz der inhaltlichen Änderungen automatisch EU-weit anerkannt. Das ist beim deutschen StaRUG oder beim niederländischen WHOA nicht der Fall. Die Folge ist, dass deutsche Unternehmen und Kapitalgeber als Gläubiger an die Rechtswirkung einer Planbestätigung gebunden sind – also etwa, wenn in ihre Forderungen eingegriffen wird. Umgekehrt ist das bei französischen Unternehmen und Kapitalgebern in einer deutschen StaRUG-Restrukturierung zumindest bis zum Sommer 2022 nicht der Fall.
Was sollten deutsche Unternehmen beachten?
Dem öffentlichen und daher auch EU-weit anerkannten Restrukturierungsrahmen der sauvegarde accélérée geht zwingend das rein konsensuale und streng vertrauliche Verfahren der Conciliation voraus. Lediglich wenn keine konsensuale Lösung gefunden werden kann, kann in die sauvegarde accélérée umgeschwenkt werden und dissentierende Minderheiten können überstimmt werden. Nur eine frühe Beteiligung an diesen Gesprächen gibt die Möglichkeit, Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen. Dies ist umso wichtiger, weil der Schlichter typischerweise zum Verwalter bestellt wird und insbesondere über die Klassenbildung einen erheblichen Einfluss auf den Plan hat, über den abgestimmt wird. Im Falle des Scheiterns der sauvegarde accélérée können die französischen Gerichte im Rahmen eines regulären Insolvenzverfahrens dann auch wieder eine Stundung der Passiva und die Entschuldung über zehn Jahre gegen den Willen der Gläubiger anordnen.
Also ein Zwei-Stufen-System?
Ja, genau. Zunächst wird im Stillen nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht und im Falle des Scheiterns wird auf den öffentlichen Restrukturierungsrahmen Rückgriff genommen. Im StaRUG dagegen beinhaltet die Sanierungsmoderation gerade keine Vertraulichkeitsverpflichtung für die Beteiligten. Es wird lediglich auf die Veröffentlichung verzichtet. Im deutschen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen muss der Antragssteller ferner bei Beantragung einer Stabilisierungsanordnung entscheiden, ob das Verfahren veröffentlicht wird oder nicht – unabhängig davon, wie weit die Gespräche gediehen sind. Davon hängt dann im Wesentlichen auch die automatische EU-weite Anerkennung ab.
Patrick Ehret leitet den French Desk von Schultze & Braun. Er ist als Rechtsanwalt in Deutschland sowie Frankreich (Avocat) zugelassen.
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